Zu den architektonischen Kleinodien Berlins gehört der Große Lichthof im Haus des Rundfunks. 1929 bis 1931 von Hans Poelzig erbaut, besticht er durch seine geometrisch klare Gestaltung, die von ockergelben und grünlich schwarz schimmernden Keramikverkleidungen unterstrichen wird. 1996 hat die SFB-Klanggalerie begonnen, hier Klanginstallationen und -skulpturen zu präsentieren. Ein wichtiges, aber in diesem Raum nicht unproblematisches Unterfangen, denn die Werke müssen sich in einer akustisch wie visuell unruhigen Foyersituation behaupten, in der Sessel zum Gespräch einladen, Kolbes figurale Bronze "Große Nacht" von der aggressiven Materialplastik "Hommage à Kolbe" (1983) von Volkmar Haase konterkariert wird und an einer Schmalseite gar ein Infocounter steht.
Andreas Oldörp flieht daher mit seiner Klanginstallation "Veer (für meine Brüder)" das Erdgeschoß und plaziert vier Orgelpfeifen an den gitterförmig durchbrochenen Brüstungen der Umgänge. Im zweiten Stock läuft ein röhrenförmiger gläserner Windkasten entlang, von dem ebenfalls gläserne Zuleitungen zu den chromglänzenden Pfeifen abzweigen. Diese scheinen alle die gleiche Länge zu haben und reichen vom zweiten Stock zum dritten oder vom dritten Stock zum vierten, wo ihr Korpus etwa mit der Balustrade abschließt. Das Gebläse ist versteckt und lautlos, der Klang ist es beinahe ebenfalls. Nur bei großer Ruhe erschließt sich dem Hörer die in der Oktave verdoppelte, leicht verstimmte Mollterz.
Deren Schwebungsmuster entfalten eine akustische Architektur im Lichthof, die dem Hörer in Abhängigkeit von Standort und Neigungswinkel seines Kopfes jeweils unterschiedliche Klangwahrnehmungen ermöglicht. Dabei sind deren Differenzen weniger spektakulär als in anderen Arbeiten Oldörps, der in seinem Klanggefüge die Einfachheit und Überschaubarkeit der umgebenden gebauten Architektur spiegelt. In diese fügt sich seine Installation mit eleganter Zurückhaltung ein. Der Bildhauer arbeitet detailgenau, als Halterungen dienen keine Schraubzwingen, sondern präzis in das gelbe Keramikraster eingepaßte Messingplatten, und die tieferen Pfeifen sind nicht etwa gedackt, um bei gleicher Länge eine Oktave tiefer zu klingen, sondern ihre Kernspalte wurde entsprechend weiter unten an der daumendicken Röhre plaziert.
Oldörps "Veer" verschmilzt so beglückend stimmig mit Poelzigs Architektur, daß man sie sich als feste Installation im Haus des Rundfunks wünschte. Es leuchtet sofort ein, daß dort, wo Radio gemacht wird, ein verschwindend leiser Klang stets präsent ist, zumal sein Ursprung die Brücke schlägt zum nur wenige Meter entfernten Großen Sendesaal mit seiner Konzertorgel. Und dieser Klang erreicht, was künstlerisches Radio ebenfalls anstrebt: er sensibilisiert für gerade jene akustische Umwelt, die ihn latent bedroht.
In der Arbeit "Die spröde Flut", die Matthias Deumlich derzeit in der Hörgalerie Singuhr zeigt, wird hingegen Klang zum Auslöser für visuelle Ereignisse. Der Schüler von Rebecca Horn schloß schlanke Glaskuppeln, wie sie zum Schutz von biologischen Präparaten oder wertvollen Tischuhren verwendet werden, unten mit einer Gummimembran ab und stellte sie auf kleine Lautsprecher. Das etwa zwei Zentimeter hoch in die Glaskuppeln eingefüllte Wasser sprudelt oder spritzt fontänenhaft auf, wenn die Lautsprecher in Schwingung geraten.
Wohl ein Dutzend dieser Klangspringbrunnen plazierte Deumlich mit viel Gefühl für Raum und Proportion im Turmstumpf der Parochialkirche. Auf Modellierböcken, Glaskästen oder architektonischen Elementen angeordnet, werden sie von Projektorlampen angestrahlt, die über Lupen die herablaufenden Wassertropfen an die Wand projizieren. Dabei wird die schlichte Schönheit der einfachen Materialien gebrochen von betont groben Halterungen oder vom sachten Kitsch einer weißen Badewannenmatte mit aufgeprägten Blüten, die als Leinwand dient. Die Klangcollage mit Radiorauschen, Kinderrufen und einem sechstönigen Ohrwurmmotiv unterstreicht den Charakter des Spielerischen, den der Parcours mit Alltagsobjekten, einer auf einem Lautsprecher tanzenden Zwiebelhaut und einer Feuerdornbeer-Maschine entfaltet. Doch trotz geradezu barocker Lust, aus dem Vollen zu schöpfen, tut Deumlich des Guten nicht zu viel. Ihm gelingt eine üppige, doch in ihren internen Bezügen überaus konsequente Rauminstallation.
Volker Straebel 6.99