Singende Flammen

Oldörp und Durand in der Parochialkirche

Ihre dritte Saison eröffnet die verdienstvolle, einzig dem flüchtigen Medium der akustischen Kunst gewidmete Galerie Singuhr mit Zwei Klanginstallationen für Parochial von Andreas Oldörp. An den Wänden des Turmgewölbes entlang verlegte der Hamburger eine etwa daumendicke Glasröhre in Kopf-, Brust- oder Knöchelhöhe, durch die Wind zu 14 kleinen, mitunter gedackten Orgelpfeifen geleitet wird. Die Pfeifen, die im Material mit den filigranen Metallstützen korrespondieren auf denen die Konstruktion ruht, akzentuieren einige architektonische Details, scharen sich gelegentlich zu kleinen Gruppen und emittieren einen hohen, recht weichen Mixturklang. Dessen Einzelfrequenzen verschmelzen zu einem dichten statischen Gewebe, das eher an Glocken- denn an Orgelklänge denken läßt, und das durch Luftdruckschwankungen leichten Änderungen unterworfen ist. Hat man sich einmal einer Pfeife genähert, verschwindet ihre Frequenz bald in dem komplexen Gesamtklang und meint man sie einige Schritte entfernt wiederzuhören, ist nicht sicher, ob man sie nur erinnert oder tatsächlich am Maximum einer stehenden Welle angelangt ist. So eröffnet Oldörp ein sehr differenziertes Hörerlebnis, das in der klaren visuellen Gestaltung der Klangerzeuger Ruhe, aber keinen Halt findet.

Im Zentralraum der Parochialkirche plazierte Oldörp an den Auflagepunkten der alten Kuppel vier seiner in Berlin besser bekannten Singenden Flammen, Gasflammen, die die in einem Glaszylinder stehende Luftsäule zum Schwingen bringen. In tiefer Lage entwickelt die leicht verstimmte Quinte einen bewegten Schwebungsklang, den Werner Durand in einer einstündigen, ruhig atmenden Improvisation mit seinen experimentellen Holzblasinstrumenten färbte. Vom Publikum verborgen schmiegte sich Durand in langen Haltetönen der Klanginstallation an um deren Schwebungsmuster leicht zu verändern, oder fügte völlig fremde Frequenzen hinzu, die den Ausgangsklang überraschend kohärent und kompakt erscheinen ließen. Daß die Singenden Flammen sich im Laufe der Aufführung so sehr verstimmten, daß Durand mit seinen weniger flexiblen Instrumenten nicht zu folgen vermochte, ist Künstlerpech und muß in Kauf nehmen, wer sich auf solch ein musikalisches Experiment einläßt.

Volker Straebel 5.98

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leicht verändert unter dem Titel "Singende Flammen" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 23.Mai 1998
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