Produktive Orientierungslosigkeit

Phill Niblock in der Parochialkirche

Videokunst, die sich nicht der narrativen Strukturen des konservativen Films bedient, ist im stärkeren Maße als dieser eine intermediale Kunst. Ihr geht es nicht mehr um die Abbildung einer inszenierten Wirklichkeit in Bild und Ton, sondern um die freie Gestaltung beider Sinnes-Ebenen, die vom Diktat inhaltlicher Verdopplung respektive ergänzender Sinnstiftung befreit sind. Vor den Ansprüchen, die diese Gattung an die Doppelbegabung der Künstler stellen, scheitern viele. Selbst prominente Vertreter der Videokunst behandeln den Ton oft als bloßen Sound, der die unheimliche Stille vertreiben soll, und andere pflegen ausgefeilte Klanglandschaften nur assoziativ und schön aber beliebig zu bebildern.

Einen Ausweg bietet die strukturelle Verflechtung von Bild und Ton. Diese unternimmt seit Jahrzehnten der amerikanische Intermedia-Pionier Phill Niblock, und zwar nicht in serieller Übersetzung sondern in zeitlich entkoppelter, motivischer Parallele. Seine aus mikrotonalen Liegetonschichtungen akustischer Instrumente gebildeten, elektrisch sehr laut verstärkten Kompositionen bilden Obertonschwebungen aus, die im zunächst statisch wirkenden Klangfluss als unvorhersehbare Variationen des immer gleichen erscheinen. Niblocks Filme mit langen Einstellungen von unter freiem Himmel arbeitenden Menschen - im Konzert mit dem Saxophonisten Ulrich Krieger in der Parochialkirche waren auf zwei Leinwänden Filme aus Japan und Sumatra zu sehen - werden ausschließlich während seiner Musikaufführungen stumm projiziert und folgen dem gleichen Strukturmodell wie diese.

Die Spannung zwischen realistischer Abbildung und abstraktem Klang löst Niblock überzeugend auf in der 1996 entwickelten Computer-Installation "Computer-controlled Slide Pieces", die er im Rahmen des Festivals Format5 im Glockenraum der Parochialkirche eingerichtet hat. An zwei gegenüberliegenden Wänden des abgedunkelten Raumes werden auf extrem kontraststarken Schwarz-Weiß-Film fotografierte Landschafts- und Architektur-Details projiziert. Die aufeinander folgenden Bilder gehen dabei in etwa zwanzig Sekunden Pixel für Pixel in einander über und vermitteln eine ähnliche Orientierungslosigkeit im Bildraum wie die von CD gespielte Komposition "Five More String Quartets" mit ihren dunkel-massigen Schwebungen.

Volker Straebel 7.01

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