Akustische Photogramme

Musik und Licht im Podewil

Die Versuche, entgegen der klassizistischen Zergliederung der Kunst in verschiedene Gattungen Akustisches und Visuelles in einem Werk zu vereinen, sind etwa so alt wie unser Jahrhundert. Sie postulieren letztlich eine strukturelle Einheit der Natur, die dem Menschen jedoch ob der Anlage seines Wahrnehmungsapparates verborgen bleiben muß. Tatsächlich Töne zu sehen und Farben zu hören ist wenigen Synästhetikern vorbehalten - alle anderen separieren die auf sie einstürzenden Informationen in Reize der verschiedenen Sinne, um aus diesen dann den Gesamteindruck eines Gegenstandes oder einer Situation zusammenzusetzen.

Verschiedene künstlerische Positionen in diesem Spannungsfeld von Musik und Licht präsentierte nun die Berliner Gesellschaft für Neue Musik an zwei Tagen im Podewil. Eine Möglichkeit, eine direkte Beziehung von Klang und Licht herzustellen, besteht in der Steuerung von Schwingungsgeneratoren durch Photozellen. Christian Terstegge etwa verwendete in seiner Performance Ohrenbrennen vier schlanke Kerzen, deren Licht die Frequenz jeweils eines Sinustones beeinflußte. Das Niederbrennen der Kerzen führte zu einem langsam aufsteigenden vierstimmigen Glissando, das durch das Flackern der Flammen unregelmäßig gefärbt wurde - eine puristisch klare Arbeit über die Umwandlung von Licht in Klang. Auf einem ähnlichen Prinzip beruht Sunny Blues (1993) von Maria Blondeel. Photogramme von Verpackungsmaterial werden hier mit vier Diaprojektoren übereinandergeblendet und ergeben bläuliche, bizarr geformte Überlagerungen. Die Steuerung der Projektoren, ihre Lichtstärke oder die Frequenz ihres Blinkens, wird von den Barcodes der jeweiligen Verpackung abgeleitet, ist also obgleich zufällig gesetzt, eng mit dem Bild verbunden. Den vierkanaligen Soundtrack erstellte Blondeel durch die Projektion der Einzelbilder auf eine Photozellenmatrix, wieder gilt die Analogie von hell und hoch, dunkel und tief. So gelingt eine der seltenen konzeptionell schlüssigen Multimediaarbeiten, in denen die Methode ihrer Erzeugung nicht zum alleinigen Thema erhoben wird. Form, Inhalt und Material fallen hier in schönster Weise zusammen, ohne sich mit der Hermetik reiner Abstraktion zu begnügen.

Einige der sechs gezeigten Klanginstallationen zielten auf die Integrationsleistung des Besuchers bei der Verbindung von Licht und Klang. Christina Kubisch tauchte für Neun Türen und neun Klänge / consecutio temporum x einen unbenutzten Korridor im Dachgeschoß des Podewils in Schwarzlicht, wofür sie an jeder der abgehenden Türen je eine Quecksilberdampflampe und einen Planlautsprecher anbrachte. Der nebelig getrübte Seheindruck erschwert die Orientierung im Raum, wie die irisierenden, an- und abschwellenden Klänge sich einer klaren Zuordnung entziehen. Die Annäherung der beiden Wahrnehmungsbereiche gelingt Kubisch hier weitaus eindringlicher als in dem die gleichen Mittel nutzenden Sky Lights, das sie im vergangenen Jahr in Philadelphia installierte. Ebenfalls fernab technizistischer Spielerei vermochten zwei singende Flammen von Andreas Oldörp, One of us can not be wrong, zu überzeugen. In einem sauber gearbeiteten, einfachem Aufbau werden rund zwei Meter hohen Glaszylinder durch kleine Gasflammen zum Schwingen angeregt. Man hört also insofern was man sieht, als die Klangskulptur als Instrument fungiert.

Traditionelle Musik schließlich bedarf der Metaphorik, um Visuelles zu evozieren. In ihrem Klavierabend spannte Elzbieta Sternlicht (!) vor fast ausverkauftem Haus den Bogen von den virtuos erfaßten Werken Skrjabins und Debussys zum Synästhetiker Messiaen und dem Lichtmystiker Stockhausen. Das Programm des Ensembles Resonanz ließ schließlich kaum eine mögliche Verbindung von Musik und Licht aus, der bunte Potpourri zwängte Haydn, Ives, Weill und Kagel zusammen. Ein Filmprogamm rundete das trefflich zusammengestellte Festival ab, dessen Installationen noch bis Samstag zu sehen sind.

Volker Straebel 12.96

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geschrieben am 1.Dez. 1996, unveröffentlicht / unpublished
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