Klingende Räume

Im Gespräch: Christina Kubisch, Künstlerin

Als der Photograph bereits im Gehen sie nach ihrem Beruf fragt, sagt sie, halb belustigt, halb verzweifelt: "Siehst du, da geht es schon los." Mit dem "Künstlerin" gibt er sich nicht zufrieden, hatte der schreibende Kollege sie doch als Klangkünstlerin vorgestellt. Schließlich einigen sich beide auf "Professorin für Experimentelle Kunst", Titel einer Stelle, die sie seit 1994 an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken bekleidet. Aber ihr Beruf sei das eigentlich nicht, eher eine Tätigkeit neben anderen.

Um traditionelle Gattungsgrenzen hat sich Christina Kubisch nie gekümmert. Bereits während des Musik- und Flötenstudiums zu Beginn der 70er Jahre trat sie mit ihren Emergency Solos hervor, in denen sie die Querflöte mit Boxhandschuhen (Break) oder Fingerhüten (It's so touchy) spielte und so die Kritik an der auf Kunsthaftigkeit und Virtuosität ausgerichteten konventionellen Konzertsituation in diese selbst hinein nahm. Aktionen mit Video kamen hinzu. 1973 übersiedelte sie nach Mailand, studierte dort Komposition bei Franco Donatoni und arbeitete im Studio für Elektronische Musik. Doch es bedurfte regelmäßiger Reisen nach New York, um ihre künstlerische Einsamkeit zu überwinden in einer Zeit, in der Musikperformances und Installationen längst noch nicht eingang gefunden hatten in die Lehrpläne der Kunsthochschulen. Wie schon zuvor als Zwanzigjährige wandte sie sich schließlich wieder der bildenden Kunst zu, um 1980 entstand endlich ihre erste Klanginstallation.

"Die Installationen sind für mich das allerwichtigste. Ich gestalte Räume, in denen Leute sich frei bewegen können mit ihrer Eigenzeit und in denen sie Dinge sehen und hören können, ohne Vorgaben zu haben." - Die Beschreibung des von ihr vertretenen und inzwischen für das gesamte Genre paradigmatisch gewordenen Konzepts einer Klanginstallation, die dem Besucher keine zeitliche Dramaturgie aufprägt, erinnert an den Titel eines Stückes von John Cage, dessen Siebdruck Gelbe Musik (1991) ihr Arbeitszimmer schmückt: Bird Cage für einen Raum, in dem Menschen sich frei bewegen und Vögel frei fliegen können (1972). Allerdings zieht Kubisch sich als Performerin zurück - wenn das Publikum kommt, ist ihre Arbeit bereits getan. Daß der Weg fort von der Musikerin auf der Bühne zu größerer Anonymität geführt habe, verneint sie. Schließlich sei sie als Person gar nicht wichtig, ihr Tun mit dem einer Komponistin vergleichbar, die ihr Stück zwar schreibe, es aber nicht selbst aufführe.

Während musikalische Werke jedoch reproduzierbar sind, also wiederholt aufgeführt werden können, verschwinden die meisten Klanginstallationen nach einer Ausstellung. Was bleibt sind Kubischs Zeichnungen des Raumes mit ihren Arbeitseintragungen, kompositorische Skizzen für die Klanggestaltung, großformatige Photos und in jüngster Zeit auch CDs, die Visuelles wie Akustisches der ephemeren Installation zu bannen versuchen. Diese Arbeiten werden auch am Markt gehandelt, wohingegen die Klanginstallationen selbst nur selten Käufer finden. Ein Problem, das die längst international gefragte Wahlberlinerin mit anderen Klangkünstlern teilt. Dabei tun sich besonders die großen Museen schwer. Ausgerechnet Berlin, das in den 80er Jahren - vor allem Dank der geschickten Förderpolitik des DAAD - als ein Zentrum der Klangkunst gelten durfte, sei wohl doch "so eine preußische Stadt, wo Dinge wie Licht und Klang nicht solide genug sind." Dies bewahrheitet sich übrigens tatsächlich derzeit im Hamburger Bahnhof, der nur zwei originäre Klangkunstwerke zeigt - beide peinlicherweise in Treppenhaussituationen - und auf den Ankauf der speziell für den Windfang konzipierten Klanginstallation von Max Neuhaus verzichtete, obwohl deren Entwurf durch Sonambiente, Festival für Hören und Sehen, bereits finanziert wurde.

"Wir sind eben immer noch Vorreiter" sagt Christina Kubisch von sich und der abbröckelnden Klangkunstszene in Berlin, und erzählt von den Reisen nach Japan und den USA, dem vielen Geld, das ihr anspruchsvolles Equipment verschlingt, davon, daß sie einige Semester Elektronik studierte, um ihr Handwerk zu vervollkommnen. Nachdem sie jahrelang konsequent außerhalb der traditionellen Orte der Kunstvermittlung gearbeitet hat - ihr Zyklus consecutio temporum, Lauf der Zeit, setzt den künstlerischen Umgang mit geschichtsträchtigen Orten fort - nimmt sie nun die Institutionen wieder in die Pflicht. Außerdem entwickle sich wissenschaftliche Reflexion wie kompetente Kritik nur zögerlich. Eine merkwürdige Diskrepanz zu dem großen, meist jungen Publikum, das Kubisch längst gefunden hat.

Volker Straebel 11.96


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leicht verändert unter dem Titel "It's so touchy" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 2. Dez. 1996 (anläßlich der Installation "consecutio temporum X" im Podewil 29.11. bis 7.12. 1996)
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