Klang- statt Tonkunst

An den Rändern der Neuen Musik
(Statement zum Beginn der 75. Donaueschinger Musiktage)

Die neue Musik feiert mit den Jubiläen ihrer beiden großen Festivals - Darmstadt wurde fünfzig, Donaueschingen gar 75 - nicht nur die Verläßlichkeit ihrer Institutionen, sondern auch sich selbst. Den Bedrohungen und Herausforderungen der medialen wie ästhetischen Umwälzungen unseres Jahrhunderts widersteht sie weiter selbstbewußt. Trotzig oder vielleicht auch nur naiv komponiert man weiter Streichquartette, als hätte es die Forderung der letzten Jahrhundertwende nach neuen Instrumenten und Tonsystemen nie gegeben, als hätte John Cage dem musikalischen Kunstwerk nicht vor bereits vierzig Jahren den Todesstoß versetzt. Und auch die elektroakustische Musik, die zur Jahrhundertmitte die Erfahrung technischer Vermittlung von Wirklichkeit adäquat zu spiegeln schien, wird, wiewohl kompositorisches Pflichtfachnur von einer kleinen Zahl Spezialisten verfolgt.

Diesem Dilemma der neuen Musik ist die verstärkte Aufmerksamkeit erwachsen, die seit etwa zehn Jahren die Klangkunst selbst in der Musikwissenschaft erfährt. Arbeiten im Dazwischen von visueller und akustischer Kunst wie Klanginstallationen und -skulpturen oder Medienstücke geraten dort in den Blick, wo jener unverdrossene Optimismus fehlt, von dem Wolfgang Rihm einmal sagte, daß er dem Künstler genuin zugehöre. Der (berechtigte) Zweifel an der tradierten musikalischen Komposition findet hier seinen Ausweg. Der überkommende Betrieb musikalischer Vermittlung - Interpretation und Konzert - wird aufgehoben. Wie ein Ausstellungsbesucher ist der Rezipient stattdessen frei herumzustreifen und die zeitliche wie räumliche Organisation seiner Wahrnehmung selbst zu gestalten. Diese läßt sich zudem nicht mehr einzelnen Sinnen zuordnen, die Erfahrungen von Klang und Raum sind untrennbar miteinander verwoben.

Darin sieht die Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber (Berlin) die Versöhnung der Einzelkünste hin zur Kunst, die Überwindung der klassizistischen Ästhetik mit ihrer Klassifizierung in Zeit- und Raumkünste. Sie spricht nicht vom Ende der neuen Musik oder dem der Bildenden Kunst, wohl aber davon, daß die Klangkunst in den vergangenen zwanzig Jahren bereits eine eigene Geschichte ausgeprägt habe und daher zu Recht als eigenständige Gattung oder Kunstform bezeichnet werden könne. Darin liegt natürlich ein kulturpolitischer Schachzug. Denn derzeit teilt die Klangkunst das Schicksal aller jungen interdisziplinären Gebiete, weder Musik- noch Kunstbibliotheken sammeln ihre Literatur. In den Museen für neue Kunst fehlt sie ebenfalls fast vollkommen, Ausnahmen bilden hier allenfalls Video- und Computerinstallationen. So droht auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin sich die Chance entgehen zu lassen, eine eigens für den Eingangsbereich ihres neuen Hauses, des Museums für Gegenwart im Hamburger Bahnhof konzipierte Klanginstallation von Max Neuhaus anzukaufen.

Von rühmlichen Ausnahmen wie der Hörgalerie Singuhr in Berlin einmal abgesehen bleibt die Klangkunst also auf die Präsentation in ihr gewidmeten Festivals angewiesen. Nach der SoundArt Hannover im vergangenen Jahr bot das im August von der Akademie der Künste Berlin veranstaltete Festival für Hören und Sehen - Sonambiente (Katalog: Klangkunst, Prestel-Verlag, München) einen guten Überblick der aktueller Produktion. Mehr als einhundert Künstler beteiligten sich mit Installationen, Skulpturen und Performances, wobei eine deutliche Tendenz zum Instrumentalen auszumachen war. Sei es, daß beispielsweise eine Vielzahl präparierter Snare Drums via Computer (Ulrich Eller, Im Kreis der Trommeln) oder kleine Membrane und Gefäße durch herabfallende Wassertropfen "gespielt" werden (Trimpin, Liquid Percussion) - oft bedarf die Klanginstallation oder -skulptur einer passenden Komposition. Wo diese nicht in Echtzeit in jedem Moment neu, sich nie wiederholend synthetisiert wird (Brian Eno, Generative Roomscape 1 / Generative Music) steht man vor dem gleichen Dilemma wie bei der Präsentation längerer Hörstücke in solchem Rahmen. Deren originär musikalische Anlage fordert zum Erfassen des Ganzen auf, auch wenn der Besucher an zufälliger Stelle des Verlaufs den Raum betreten kann (Laurie Anderson, Bernhard Leitner, Ana Torfs).

So selbstverständlich die "klassische" Klanginstallation aus der Geschichte der begehbaren und raumgreifenden Skulptur gelernt hat, so unsicher erscheint oft noch immer ihr klangliches Moment. Max Neuhaus formulierte einmal für seine Arbeit in diesem Bereich: "Traditionellerweise haben Komponisten die Elemente ihrer Komposition in der Zeit plaziert. Eine Idee, an der ich interessiert bin, ist sie stattdessen im Raum anzuordnen, und es dem Hörer zu überlassen, sie in seiner eigenen Zeit zu plazieren." Wenn die Klänge also nicht nur einen Raum akustisch färben oder topographisch strukturieren, sondern dem Rezipienten Gegenstand zur Hörerfahrung werden sollen, müssen sie auch entsprechend komponiert sein und dürfen in ihrer Anlage nicht unter das Niveau musikalischer Gestaltung zurückfallen. Eine Ausnahme wäre nur eine konzeptionelle Intention, etwa die inhaltlich enge Verzahnung des Klanges mit dem Raum und dessen Geschichte. Die Klangkunst darf die Vorteile nutzen, aus zwei Schwesterkünsten hervorgegangen zu sein, - auch, sich sofort an deren Kriterien zu messen, statt diese erst mühsam selbst zu entwickeln.

Volker Straebel 10.96

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