Tönende Steine

Rolf Julius, Künstler und Komponist

Die Atelierräume in seiner Altbauwohnung in Friedenau wirken eher wie eine Denk- als eine Kunstwerkstatt. Bücher an den Wänden: Wittgenstein, Joyce, Cage, etliche Ausstellungskataloge. Gleich zwei Computer, sowie elektronisches Gerät aus dem Tonstudio, im Nebenzimmer Glasplatten auf dem Boden, auf die leuchtend rotes Pigment gesiebt wurde. Rolf Julius braucht für seine Kunst keine Staffelei und für seine Musik keinen Flügel. Er ist Zeitgenosse genug, um sich anderer Materialien zu bedienen.

Als er um 1980 nach Jahren als Kunsterzieher in der Norddeutschen Provinz zurück nach Berlin kam, entwickelte sich die Stadt, in der er einst Bildende Kunst studiert hatte, gerade zu einem Zentrum der noch jungen Klangkunst. In der legendären Akademie-Ausstellung "Für Augen und Ohren" zeigte Julius die von zwei Tonbandschleifen begleitete Fotoinstallation einer Deichlinie und bei Giannozzo realisierte er sein erstes Stück: "Musik für einen kleinen weißen Raum". Seither arbeitet der kompositorische Autodidakt, der zufällig durch einen Fernsehfilm auf John Cage aufmerksam geworden war, und der sich daurch Hans Ottes Sendungen auf Radio Bremen mit der musikalischen Avantgarde vertraut gemacht hatte, im Dazwischen von Skulptur, Klanginstallation und -performance. Begriffe, die Julius eigentlich nicht gern auf sein Werk bezogen sieht. Vor allem die Komposita mit "Klang" sind ihm suspekt: "Die Klangkunst mag schon ein eigenes Medium sein, und es gibt ja auch derzeit viele Festivals darüber. Aber eigentlich engt der Begriff ein. Es geht mir um den wirklich freien Umgang mit den Medien in der Nachfolge von Cage." Julius ist eben Künstler im universalen Sinne der Renaissance, dem alle Gattungen zur Verfügung stehen. Ein emphatische Beschreibung, die der in seiner zurückhaltenden Bescheidenheit und Ruhe irgendwie asiatisch wirkende Mann mit Sicherheit nicht selbst vorgebracht hätte.

Asiatische Einflüsse schlagen sich tatsächlich in der mitunter kargen Konzentration seiner Arbeiten nieder. Berühmt sind seine als Bodenskulptur präsentierten Pflastersteine, die, mit je einem kleinen Hochtonlautsprecher versehen, unmerklich surren und rauschen ("Musik in einem Stein"). Eine speziell für die Skulpturen komponierte, sehr leise statische Tonbandmusik ("small music") aus stark verfremdeten konkreten Klängen - Julius verwendet Naturgeräusche ebenso wie Instrumentaltöne - färbt Raum und Objekt. Seine Musik beschreibt Julius mit visuellen oder haptischen Qualitäten: sie sei rot oder grau, erscheine rauh, glatt oder korrodiert. Wie der Strich einer Zeichnung hätten auch Klänge eine Oberfläche. Manchmal färbt eine Musik, die aus zwei kleinen auf dem Boden liegenden Lautsprechern dringt, einen ganzen Raum, ein gewöhnliches leergeräumtes Büro mit weißen Wänden etwa: "Musik für einen gelben Raum - presto".

Trotzdem geht es Julius nicht um Synästhesie. Seine Arbeiten wenden sich an alle Sinne, "die doch ohnehin irgendwie zusammen sind", wollen aber nicht ein Ereignis in verschiedenen Medien verdoppeln. So entsteht eine neue Erfahrung jenseits der einzelnen Sinneswahrnehmungen. Der Klang fängt dort an, wo die Skulptur aufhört und umgekehrt. Dies wird besonders sinnfällig bei jenen Installationen, die Leere thematisieren. "Mich interessieren besonders Entfernung und Leere. Und so frage ich mich immer wieder: Wie bekomme ich den Raum leer?" Dazu reicht es nicht, einen ausreichend großen Ausstellungsraum einfach leerzuräumen. Die riesige, 80 Meter lange Quergalerie im Hamburger Bahnhof etwa, in der Julius dieser Tage seine neue Arbeit "Musik für einen fast leeren Raum" einrichtet, gilt es optisch und akustisch zu leeren, gerade indem man etwas hineingibt. Die leisen Klänge, die aus den Kleinlautsprechern unter mit Pigment besiebten Glasplatten dringen, werden Pausen haben. "Und in diese Pausen tritt dann eben das Pigment. So hilft das Auge der akustischen Orientierung, und andersherum färbt der visuelle Eindruck die Musik."

Volker Straebel 3.98

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leicht verändert unter dem Titel "Wenn Pflastersteine surren und rauschen" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 3. März 1998 (anläßlich der Ausstellung "Rolf Julius: Musik für einen fast leeren Raum", Hamburger Bahnhof, 4. bis 15. März 1998)
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