Sichtbare Klänge

Klanginstallationen und Papierarbeiten von Rolf Julius

Wenn man über Kunst oder Musik spricht, tut man dies mittels Metaphern, will man eine technische Beschreibung des jeweiligen Gegenstandes vermeiden. Gemälde sind schwer und wuchtig oder leicht und fragil, Kompositionen dicht, aggressiv oder sacht, Klänge erscheinen weich, spitz oder rauh. Wenn Rolf Julius über seine Klanginstallationen und Tonbandstücke spricht, erweisen sich solche visuellen und haptischen Attribute jedoch nicht mehr als bloße Illustrationen seiner Kunst im Medium der Sprache, als mühsames "Als-Ob". Diese Qualitäten sind ihm vielmehr der eigentliche Gegenstand seines Schaffens.

In der Galerie Gelbe Musik zeigt Julius Zeichnungen, die 1993 im Umfeld der Installation "Die Quelle" in Donaueschingen entstanden. Hier findet sich der Satz "ganz kleine Klänge hängen ganz nah über der Quelle und werden naß". Leicht hingeworfen unter einer japanischer Zeichenkunst verpflichteten Situationsskizze führt er ein in Julius' hoch sensible Arbeit im Dazwischen von Kunst und Klang (10 Blätter, Tusche auf Pergamentpapier, etwa Din-A4, je 1.000 DM). Die zurückhaltend rauschende Fensterinstallation "g-e-l-b" und das Multiple "Schwarz (Gelb)" (2.500 und 1.200 DM) aus drei Blättern und einer CD markieren Julius' aktuelles Interesse an der synästhetischen Evokation von Klängen. Mit dem Tintenstrahldrucker auf Japanpapier aufgebrachte monochrome Quadrate in gelb und schwarz entfalten klangliche Qualitäten, auch in ihrer Durchdringung bei der Montage zweier Blätter in einem Rahmen.

Die "Musik für den Blick nach unten" im Glockenraum der Hörgalerie Singuhr lebt hingegen von der Spannung zwischen Gehörtem und Gesehenem. Eine dreiteilige Bodenskulptur färbt die Pausen zwischen den sich von einem leisen irisierenden Flirren abhebenden Klavierklängen mit gesiebtem Pigment tief rot und schwarz. Zu kurzen Sequenzen transponierte Reibegeräusche bilden einen Widerpart zu den Instrumentalklängen - eine Konstellation, die visuell mit den zwei Farben und der Kombination von Rechteck und Kreis aufgegriffen wird. Das im Eröffnungskonzert gespielte Tonbandstück "Monochrom" verdichtet dieses Klangmaterial in der Zeit und überträgt das Verfahren skulpturaler Setzungen auf die Musik: die Klänge im Vordergrund sind einfach da, ohne Übergänge und Entwicklungen, aber in genau kalkulierter, formaler Proportion.

"Musik, weiter entfernt" schließlich ertönt als reine Klanginstallation im Kirchenschiff. Drei klangliche Materialebenen korrespondieren mit drei akustischen Ebenen, die von zurückhaltend gehängten Lautsprechern (zum Teil ohne Chassis) etabliert werden. Diffus abgestrahlte, geräuschhafte Naturklänge lassen den Raum flimmern, aus der Kuppel dringen vereinzelt synthetisch erzeugte modale Fragmente und zwischen zwei benachbarten Seitenkuppeln pendeln, von langen Pausen durchsetzt, knappe perkussive Impulse. Diese erscheinen als verhältnismäßig laute Störung, zumal ein auf einem der Lautsprecher plaziertes Pergamentpapier ein zusätzliches, gewissermaßen instrumentales Schnarren erzeugt. Eine Störung, die die Konzentration wieder belebt in einem leeren Raum, in dem Julius dem Besucher kein Bild, keine Skulptur zur Betrachtung anbietet. Farben, Richtungen und Volumina erzeugen hier allein die beglückend stimmig komponierten und plazierten Klänge.

Volker Straebel 9.99

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leicht verändert unter dem Titel "Klänge werden sichtbar" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 24. September 1999
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