Chor der Traktoristen

Sven-Åke Johanssons "Konzert für Traktoren" in Langen

Manche Musik hat in den Konzertsälen der Städte nichts verloren. Sie gehört aufs Land. Das gilt nicht nur für Folklore, sondern auch für solche Stücke, deren Aufführung ungewöhnliche Instrumente verlangt, die in der Stadt nicht zu haben sind. Traktoren zum Beispiel.

Ein Konzert für deren zwölf komponierte 1996 der in Berlin lebende Performancekünstler und Perkussionist Sven-Åke Johansson. Am Ende eines mehrmonatigen Arbeitsaufenthaltes in der Denkmalschiede Höfgen bei Leipzig versammelte er Landwirte aus der Umgebung mit ihren Maschinen auf dem Hof in Grimma und ließ sie nach genauer Partitur die Motoren betätigen. Nach weiteren Aufführungen im Saarland und in Dänemark erklang nun Johanssons "Konzert für Traktoren" erstmals im Saal. Keinem gewöhnlichen natürlich, sondern in der für Konzerte genutzten Scheune des Gutshofs Langen bei Fehrbellin. Hierher hatten die Sammler und Mäzene Annette und Friedrich Weber geladen, und über dreihundert Gäste waren ihrem Ruf gefolgt.

Im Halbkreis an der Stirnseite des Saales aufgestellt, bieten zwölf Traktoren einen imposanten Anblick. Zumal die von Johansson auf den Höfen des Rhinluch ausgewählten, denn einzig alte Exemplare mit niedrig tourigen zwei- bis dreizylindrigen Dieselmotoren kommen für sein Werk in Frage. Diese gleichsam historischen Instrumente wurden in Langen von ihren Eigentümern gespielt, was nicht nur im Sinne der historischen Aufführungspraxis ein kenntnisreiches Musizieren garantierte, sondern auch dem Interesse Johanssons an den gesellschaftlichen Implikationen seiner Aktionen entspricht. Der Performancekünstler legt Wert auf das Gespräch mit den Landwirten am Aufführungsort, er besucht mit ihnen Schuppen und Scheunen, bewertet die Traktoren einzig nach ihrem Klang und bringt schließlich gestandene Bauern dazu, auf Handzeichen zu starten und zu drosseln, im Leerlauf Gas zu geben und den Motor wieder abzuschalten.

Das achtzehnminütige "Konzert für Traktoren" folgt einer doppelchörigen Anlage. Zunächst setzen die ersten sechs Traktoren nacheinander von links nach rechts bis zur Mitte hin ein, dann ergänzen die übrigen zum Tutti. Dieses Gegenüber von rechter und linker Hälfte des Halbkreises bestimmt zunächst das Geschehen, wobei der Traktor eins (Belling auf einem grünem Famulus) mit charakteristisch drängenden Achteln erfreute. Besonders schön auch die Stelle, an der plötzlich der mächtige, dichte Klang der Gesamtbesetzung abbricht und einzig Traktor fünf (Schwarz auf einem roten Famulus) mit einem plötzlich komplex erscheinenden Klangband solistisch weitertuckert. Das letzte, mit gewaltigen Crescendi dramatisch angelegte Drittel des Werkes wird vom selben Solisten eingeleitet. Er gibt im Leerlauf langsam Gas und scheint so jeden Moment auf das Publikum zuzufahren. Diese sehr eindringliche Situation wiederholen dann alle Traktoristen zusammen in drei mächtigen Wellen, ehe die Maschinen elf und zwölf (Müller und Schindler auf ihren Deutz) mit einem statischen Duo die Coda bilden.

In dem geschlossenen Scheunenraum entfalteten die Traktoren eine weitaus stärkere Präsenz und klangliche Differenziertheit als in den vorangegangenen Freiluftaufführungen. Das Publikum dankte mit enthusiastischem Jubel der Wiederbelebung von futuristischer Geräuschmusik und Performance Kunst aus der Zeit der Russischen Revolution, im Geist brandenburger Landwirtschaft.

Volker Straebel 5.99

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leicht verändert unter dem Titel "Auf den mächtigen Klang der Diesel folgt ein solistisches Tuckern" in: Der Tagesspiegel, 10.Mai 1999
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