Integration statt Resignation

Das Institut für Neue Musik der HdK

Gefielen sich die Kunsttheoretiker des Klassizismus in der zergliedernden Beschreibung ihres Gegenstandes, die zur Unterscheidung einer Vielzahl von Einzelkünsten gemäß ihrer Materialverwendung oder Rezeptionsform führte, so scheinen in unserem Jahrhundert umgekehrt die Künstler die einengenden Begrenzungen ihren Sparten gesprengt zu haben. Die Utopie der Versöhnung der Künste hin zur Kunst wird in den intermedialen Kunstformen der Gegenwart eingelöst; eine Kunst, die sich aktuellen Strömungen in Technik und Gesellschaft verschließt, ist undenkbar geworden. Daß dem auch in der Ausbildung Rechnung zu tragen sei, ist eine Forderung der in der Folge von 1968 entstandenen bildungspolitische Reformbewegung. Ihr entsprach der Berliner Senat 1975 mit der Zusammenlegungen der Staatlichen Hochschule für bildende Künste und der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst - die Gründung der Hochschule der Künste Berlin entsprang dem Wunsch nach gegenseitiger Befruchtung der einzelnen Studiengänge.

Den interdisziplinären Austausch im Bereich der Musik zu fördern ist die Aufgabe des seit 1989 an der HdK angesiedelten Instituts für Neue Musik. Seinem fachübergreifenden Anspruch entspricht, daß das Institut bislang der zentralen Hochschulverwaltung direkt unterstellt war und erst im Rahmen der HdK-Strukturreform dem Fachbereich Musik zugeordnet wurde. Dabei wird sein Geschick weiterhin von einem achtköpfigen Beirat bestimmt, dem die HdK-Professoren Frank Michael Beyer, Jolyon Brettingham-Smith, Dr. Elmar Budde, Friedrich Goldmann, Ingeborg Pfingsten, Aribert Reimann, Dr. Dieter Schnebel und Walter Zimmermann angehören. Seit Sommer 1996 steht der Komponist Orm Finnendahl dem Institut als Leiter vor - eigentlich eher als "Halbleiter", wie er sagt, bekleidet er doch nur die 2/3 Stelle eines Wissenschaftlichen Mitarbeiters - und Ine-Christiane Rieger komplettiert als "Guter Geist" und Sekretärin auf halber Stelle den Stamm der festen Mitarbeiter. Das Institut verfügt über ein Budget von 15.000 DM für Personal- und 40.000 DM für Sachmittel, wobei die Sachmittel durch die Haushaltskürzungen seit 1995 nur noch zu 90% ausgezahlt werden, und der so entstehende real verfügbare Etat von 51.000 DM 1997 nochmals um 10% gekürzt wurde.

Daß trotz dieser beschränkten Mittel das Institut für Neue Musik in den letzten Jahren eine rege Veranstaltungstätigkeit entfalten konnte, liegt an der glücklichen Hand der jeweiligen Organisatoren bei der Beschaffung von Drittmitteln sowie an der Bescheidenheit der Vortragenden, die in der Regel auf angemessene Honorare verzichten. Workshops und Vorträge durchreisender Künstler - gerade war der amerikanische Komponist George Crumb zu Gast - machen daher das Gros der Veranstaltungen aus. Aber auch umfangreichere Vortragsreihen wie Wolfgang von Schweinitz' Vorlesungen zur Theorie der Harmonielehre und die in Kooperation mit dem Fachbereich Mathematik der FU veranstaltete Reihe "Musik & Mathematik" prägten das Programm des vergangenen Wintersemesters.

Instrumentalisten, Komponisten, Musikwissenschaftler und Vertreter angrenzender Fachgebiete zusammenzuführen und zu weiterer gemeinsamer Aktivität anzuregen, nennt Finnendahl als wesentliches Anliegen seiner Arbeit. "Ich sehe das Institut als Kommunikator, der die Hochschule nach Innen integriert und nach Außen repräsentiert." Ein Anspruch, dessen Einlösung der Wissenschaftsrat in seinem Bericht von 1993 ausdrücklich bestätigte. Dort hieß es, daß obgleich der Gründungsgedanke der HdK gewesen sei, den fachbereichsübergreifenden Austausch zu fördern, diese Kommunikation oftmals zu kurz käme und es besonders das Institut für Neue Musik sei, das die interdisziplinäre Verbindung der einzelnen Studiengänge leiste. Damit stellt das Institut eine Einrichtung dar, die die HdK wesentlich von der Hochschule für Musik Hanns Eisler unterscheidet.

Allerdings wirkt seine integrative Leistung nicht nur hochschulintern. An dem für das Wintersemester 97/98 geplanten und von Studenten initiierten Großprojekt der Aufführung und Erörterung möglichst sämtlicher "Sequenzas" von Luciano Berio werden Studenten und junge Instrumentalisten aller Berliner Universitäten und Musikhochschulen, sowie einzelne Gäste aus dem Bundesgebiet teilnehmen. Und in den international besetzten Symposien zu John Cage (November 1995) und zur Seriellen Musik (Juni 1996) wirkte das Institut als Ort wissenschaftlichen Austauschs weit über Berlin hinaus. Damit fördert das Institut für Neue Musik auch das Erscheinungsbild der HdK nach Außen. In diesem Frühjahr erscheint beim Wolke-Verlag ein erster vom Institut herausgegebener Sammelband, der die Vorträge zur Seriellen Musik einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Er markiert den Beginn einer regelmäßigen Publikationstätigkeit, die die Bedeutung der hier geleisteten Arbeit unterstreicht.

Wer sich als "Kommunikator" versteht, kann heute unmöglich auf die Mittel elektronischer Kommunikation verzichten, und so überrascht es nicht, daß das Institut für Neue Musik bereits seinen eigenen Internet-Server eingerichtet hat. Betreut wird das Computer-Netzwerk von Manuel Martinez-Desdin, der an der TU Informativ studiert und hier eine halbe Tutorenstelle bekleidet. Zwar läßt die Präsentation des Instituts im World Wide Web noch auf sich warten, doch unter info@ifnm.hdk-berlin.de ist man bereits per email erreichbar. Auf einer weitere halben Tutorenstelle kümmert sich Christine Bokelmann, Studentin der Visuellen Kommunikation, um das optische Erscheinungsbild des Instituts. Sie zeichnet zum Beispiel für das Layout des ersten Buches verantwortlich - in Zeiten, in denen die Verlage bereits fertige Druckvorlagen von den Herausgebern verlangen, eine nicht zu unterschätzende Aufgabe.

Mit der Anbindung des Instituts für Neue Musik an den Fachbereich Musik sind diese Tutorenstellen jedoch nicht mehr ganz so sicher wie zuvor. Außerdem hat die zentrale Hochschulverwaltung die im Steinwayhaus in der Hardenbergstraße gemieteten Institutsräume zum 30. September gekündigt und Fachbereich wie Beirat stehen vor der Aufgabe, einen etwas überstürzten Umzug in das Gebäude in der Bundesallee zu organisieren. Dort wird wahrscheinlich der kleine Vortragssaal zum Seminarraum umgebaut werden (Mittel stehen hierfür in diesem Jahr jedoch nicht mehr zur Verfügung). Neben zwei Büroräumen gilt es auch einen Computer- und Lesesaal einzurichten, dessen Pendant in der Hardenbergstraße bereits stark frequentiert wird. Das Archiv des Instituts und die Bestände der kleinen Bibliothek mit Partituren, ausgewählten Fachzeitschriften und Tonträgern können hier benutzt werden, außerdem haben Studenten die Möglichkeit, ihre Emails abzufragen, sich im Internet zu informieren oder mit dem neu angeschafften Notensatzsystem zu arbeiten.

Trotz der durch den Umzug entstehenden Unsicherheit laufen die Vorbereitungen des Instituts für neue Projekte auf Hochtouren. Gösta Neuwirth wird ein Anton Webern gewidmetes Symposium leiten, im Herbst wird in Kooperation mit der Inselmusik eine Veranstaltung das Thema Musik und Abstraktion beleuchten und eine Konzert- und Vortragsreihe wird sich dem Werk Stefan Wolpes widmen. Das Ensemble UnitedBerlin wird die Reihe seiner Vorkonzerte fortsetzen, außerdem sind längerfristig Workshops mit Mario Bertoncini und dem Pariser Saxophonquartett Xasax, sowie ein Symposium zu Franco Evangelisti zu erwarten. So entfaltet das Institut für Neue Musik mit geringen finanziellen Mitteln eine enorme interdisziplinäre Aktivität - eine Leistung, von der man manchmal den Eindruck hat, sie würde außerhalb der HdK mehr geschätzt als innerhalb der Hochschule selbst.

Volker Straebel 97

up     home

veröffentlicht in HdK-Journal, Sommersemester 1997 (Hochschule der Künste Berlin)
© Volker Straebel kein Abdruck ohne schriftliche Genehmigung des Autors / no reprint without author's written permission