Schamanin des Alltags

Shelley Hirsch brilliert im Hebel Theater

Schüchtern will sie gewesen sein, in der Gegenwart von Jerry Hunt? Shelley Hirsch, die sprudelnde Gesangsperformerin, das Energiebündel aus Brooklyn, uncharacteristical shy? Am Ende ihrer Hommage For Jerry, die sie dem großen amerikanischen Performance-Künstler und Live-Elektroniker gewidmet hat, möchte man es ihr glauben. Nach dem gewaltigen Solo-Programm im Hebbel Theater nimmt sie den begeisterten Beifall mit großem Ernst entgegen, als gebüre er nicht ihr selbst, oder als tröste er nicht über die Enttäuschung hinweg, daß Jerry Hunt sich 1993 schwer krank das Leben nahm, ohne mit ihr gemeinsam aufgetreten zu sein. Shelley Hirsch bleibt nur Wiedererinnerung, die Vergegenwärtigung des untrennbar mit der Person Hunts verschmolzenen Werkes.

Und diese gelingt ihr, weil sie auf Distanz bleibt. Die Bühne, auf die Shelley Hirsch ihr Publikum bittet, gleicht einem skurrilen Environment, das Alltagsgegenstände in phantastischer Kombination und kultisch anmutenden Arrangement zusammenführt. Doch der von Hunt gelernte magische Umgang mit diesen Objekten, der flagellantenhafte Gebrauch von plötzlich phallischen anmutenden Lauchstangen und Staubwedeln dauert nur kurz und wird immer wieder gebrochen von den autobiographischen Erzählungen Hirschs. So vermeidet sie das Nachstellen einzelner Performances, sondern entwickelt aus charakteristischen Elementen schier unerträglich intensive Szenen modernen Schamanentums, windet sich konvulsivisch zuckend unter der Energie der mitunter unverständlichen, phantasiesprachlichen Stimmen, mit denen sie redet, die sie in abgehackt-glottaler Sprechweise stammelt oder in weiten, improvisatorisch freien Bögen singt. Dazu erklingen dichte Klangflächen von Tonbändern Jerry Hunts, die dieser mit über Bewegungssensoren gesteuerter Live-Elektronik generiert hatte.

Dieser technischen Magie bleibt Shelley Hirsch abholt, sieht man von ein paar Live-Samples ab. Dafür nutzt sie voller Lust die Bühnenmaschinerie, die sie im abschließenden, vielleicht etwas langen Zwitscherstück - Hunt liebte Vögel und liebte es, ihre Laute nachzuahmen - in den Himmel entschweben läßt. Da trällert und gurrt sie hinter einem Wald aus winzigen Schwarzweiß-Monitoren, auf denen neben Hunt selbst auch sein Freund erscheint und mit Anekdoten aufwartet aus dem Leben des Texanischen Zauberers. Besser hätte man Jerry Hunt nicht auf die Bühne bringen können. Besser ist seine Verstrickung von Person und Werk nicht umzusetzen. Und wer sonst hätte es tun können wenn nicht Shelley Hirsch, deren Mut zur Traurigkeit nie in Sentimentalität ertrank, und deren Präsenz und stimmliche Wandelbarkeit den Funken der Beschwörung überspringen ließ. Ein großartiger Abend zweier großartiger Künstler.

Volker Straebel 1.98

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leicht verändert unter dem Titel "Der texanische Zauberer" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 28.Jan. 1998
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