Wetter und Kunst

Wie aus Luftdruckschwankungen Klang wird

Von interaktiver Kunst sind wir gewohnt, daß sie auf den Betrachter reagiert. Im einfachsten Fall schaltet der Galeriebesucher per Lichtschranke irgendetwas an oder aus, andere Arbeiten wünschen detailliertere Auskünfte über ihr Gegenüber, die wir brav in einen Computer tippen. Was nun aber, wenn die interaktive Kunst sich gar nicht um uns kümmert? Sind wir nicht gekränkt, wenn sich das Werk dem unmittelbaren Spiel von Aktion und Reaktion verweigert?

Sind wir nicht. In der zweiteiligen Installation Air, die der Niederländer Felix Hess in der Hörgalerie Singuhr zeigt, wohnt der Besucher der akustischen respektive visuellen Umsetzung von Luftdruckschwankungen bei, die er selbst kaum gezielt beeinflussen kann. Zweimal 15 "Cracklers", kleine Klangmaschinen, die ihr Innenleben aus einer 9V-Blockbatterie und einer kleinen gelöteten Schaltung offenlegen, den Piezo, mit dem sie ihr Klicken emittieren, jodoch zwischen einem Holzplätchen und einem Kieselstein verbergen, liegen an den Rändern des Galerieraumes auf dem Boden verstreut. Ihr unregelmäßiges, sich ständig änderndes Klicken mag an jene Froschchöre erinnern, die dem Klangkünstler Hess Ende der 70er Jahre zum Initialerlebnis wurden. Je nach Wetterlage und Raumklima - schon das Schließen einer weit entfernten Tür führt zu beachtlichen Luftdruckschwankungen - wechselt das Geschehen zwischen komplexer Polyrhythmik und einem fast statischen, äußerst dichten Summationsrhythmus. Manchmal liegen die Klicks so nahe beieinander, daß sich die Einzelereignisse in einem kurzen Rausch-Glissando auflösen.

Ob jedoch das Atmen des Besuchers hier Einfluß nimmt, oder sein wehender Mantel für Luftturbulenzen sorgt, bleibt unsicher. Ebenso in dem intimeren zweiten Teil von Air, in dem Hess 18 große matte Glühlampen auf den schwarzen Boden legte, deren Helligkeitsschwankungen dem Luftdruck folgen. So entsteht ein weniger differenziertes "Konzert für die Augen", das den Betrachter wieder in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit rückt. Sehend und hörend, was er nicht spürt, ahnt er, was er dem Kunstwerk ist: Luft.

Volker Straebel 6.98

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leicht verändert unter dem Titel "Wetter ist Kunst" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 14.Juni 1998
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