A Cloud Ladder

Klanginstallation von Terry Fox in der Hörgalerie Singuhr

Die Wendeltreppe, die in den frisch renovierten Turm der Parochialkirche hinaufführt, ist seit der Gründung der Singuhr Hörgalerie wiederholt Ort künstlerischer Interventionen gewesen. Schon in der Eröffnungssaison 1996 begleitete Franz-Martin Olbrischs "Akustisches Wegeleitsystem" den Besucher auf seinen Weg zum eigentlichen Ausstellungsraum mit akustischen Signalen. Über Bewegungsmelder gesteuert reagierten sie auf die Position des Besuchers, blieben in seiner Nähe oder eilten ihm voraus. So entstand ein individueller akustischer Sog, der die architektonisch angelegte Bewegung in seinem Medium des Klangs verdoppelte und verstärkte.

Terry Fox, der nun am nämlichen Ort seine "Cloud Ladder" eingerichtet hat, kann die Arbeit Olbrischs gekannt haben, war er doch im gleichen Sommer 1996 mit der poetisch reduzierten Installation "School of Velocity" im Rahmen der Klangkunst-Ausstellung "Sonambiente" in den alten Ateliers der Akademie der Künste am Pariser Platz vertreten. Sei es nun als Abgrenzung gegen andere Klangarbeiten am gleichen Ort, sei es als architektonische Weiterführung seiner visuellen und skulpturalen Textstücke der letzten zwanzig Jahre - Terry Fox läßt die Turmschnecke der Parochialkirche stumm. Auf den senkrechten Flächen der 67 Stufen brachte er englische Begriffe und Redewendungen zum Thema "Zeit" an, die man nur beim Aufstieg und nur in der gegebenen Reihenfolge zu lesen vermag.

So durchschreitet der Besucher physisch einen Text Konkreter Poesie und erfährt buchstäblich, wovon hier die Rede ist: Zeit. Von der "Starting Time" bewegt er sich über verlorene, erzählte und geteilte Zeit hin zu "Time and Space". Dazwischen liegen Begriffe, die auf die Gestalt der Installation selbst Bezug nehmen. Von Zeit-Zyklen ist da die Rede, von Dauer und Struktur in der Zeit, schließlich vom "Time Piece". Als solches hält die "Cloud Ladder" inne, wenn sie in einem Zwischengeschoß den Blick frei gibt in den abgesperrten Vorraum der Winterkirche, von dessen Kronleuchter ein Mobile hängt mit drei Zeilen: "Stille ist nicht akustisch. Sie ist eine Änderung des Bewußtseins. Ein Sich-Umdrehen." Daß dieses "Sich-Umdrehen" tatsächlich im Luftzug um die eigene Achse sich dreht, beschreibt die Grenze, bis zu der intermediale Übersetzung ästhetisch Reiz und Wirkung zu zeitigen vermag.

Am Ende der Wendeltreppe angelangt, weitet sich, angekündigt von der letzten Stufenbeschriftung, die Zeit zum Raum. Das Gewölbe ist angefüllt von einem tiefen, annähernd sinusförmigen Klang. Zwischen den unverputzten Wandflächen bildet er Stehende Wellen aus, eine akustische Geographie, die dynamische Maxima und Auslöschungen in den Raum schreibt. Durch suchendes Herumgehen und Lauschen nur in der Zeit erfahrbar, bildet der tönende Anteil von "A Cloud Ladder" eine glückliche Analogie zur Text-Treppe, deren Stufen-Schriften ja auch gleichzeitig sind, aber erst im Nacheinander der Zeit aufgenommen werden können.

Die Klangquelle macht man bald als eine unauffällig in einer Ecke stehende weiß mattierte Weinflasche aus. Ein von einer ärgerlich surrenden Aquariumspumpe erzeugter, durch einen transparenten Kunststoffschlauch eingeleiteter Luftstrom regt ihre Resonanzfrequenz an und erzeugt den warmen, präsenten Ton. Weitere Objekte im Glockenraum sind der alte in einer Zierwölbung plazierte Turmknopf und ein kleines Foto eines alten Weckers, von Fox zufällig vorgefundene und etwas unmotiviert wirkende Gegenstände im Assoziationsfeld der Zeit.

Die eigentliche Himmelsleiter schließlich ist nicht begehbar und führt mit 24 Sprossen in die Weite des Dachstuhls. Auf ihnen steht in Einzelbuchstaben Marc Chagalls Bonmot, die Zeit sei ein Fluss ohne Ufer. Die fehlenden Wortzwischenräume machen das Lesen etwas mühsam und lassen an die seriellen Textbilder von Fox denken. Im Kontext dieser Arbeit wirkt ihr Fehlen zwar inkonsequent, doch mag es einer all zu romantisch verklärenden Deutung dieser Stufen entgegenwirken. Dem dient auch, dass der Besucher beim Herabsteigen der Wendeltreppe die Zeit-Wörter nicht mehr lesen kann, sie aber wohl in seinem Rücken weiß. So also läßt man Zeit hinter sich.

Volker Straebel 7.01

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leicht verändert unter dem Titel "Fluß ohne Ufer. Terry Fox thematisiert in seiner Klanginstallation 'A Cloud Ladder' das Phänomen 'Zeit'" in: FAZ, Berliner Seiten, 27.Jul. 2001
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