In New York teilt sich die Szene zeitgenössischer Musik in Uptown und Downtown. Was im Lincoln Center oder an der Upper Westside zur Aufführung gelangt, ist ordnetlich in Noten gesetzte Musik akademisch ausgebildeter Komponisten, während die Clubs von Lower Manhatten experimentellen Darbietungen vorbehalten bleiben. Dem hier dominierenden Typus des Composerperformers, der Personalunion von Komponist und Interpret, gehört auch der seit 1980 in Berlin anssässige Werner Durand an. Seine der Minimalmusic verpflichteten Stücke entstehen für ein höchst individuelles Instrumentarium aus Plexiglasblasinstrumenten, präparierten außereuropäischen Flöten oder Saxophonen, wobei Durand stets an den Aufführungen als Instrumentalist selbst beteiligt ist: "Was hab' ich davon, wenn andere meine Musik spielen und ich gar nicht dabei bin? GEMA vielleicht, aber ich will schließlich die Sachen hören." Daher verwundert es auch nicht, daß er, wie die meisten Composerperformer, seine Stücke nicht in Partituren fixiert. Was die Musikwissenschaft graust, ist ihm schlüssige Konsequenz seines Musikverständnisses: "Meine Musik funktioniert ausschließlich übers Ohr. Ich habe alle Stücke im Kopf, und zur Not kann ich sie anhand von Tonbandaufnahmen rekonstruieren."
Ausschließlich übers Ohr ist Werner Durand auch zur Neuen Musik gekommen. In den frühen siebzigern entdeckte der 18jährige den amerikanischen Free Jazz für sich, der ihn schließlich so gefangen nahm, daß er den Fußball gegen das Saxophon vertauschte. 1973 wurde ihm im abgeschiedenen Karlsruhe eine Radiosendung mit Musik von Terry Riley zur musikalischen Offenbarung, und binnen weniger Tage drang er in die damals noch kraftvolle Welt der amerikanischen Minimalmusic ein. Die ostinaten Pattern von Riley, Steve Reich, La Monte Young und Philip Glass fanden ihren Weg auf Durands Plattenteller, die Nachtprogramme des Französischen Rundfunks mit Live-Sessions von Thelonious Monk und Jon Gibson wurden ihm zum regelmäßigen Konzerttermin. Hier hörte er auch 1976 den Saxophonisten Ariel Kalma, woraufhin er schnurstraks nach Paris fuhr, in einem Plattenladen dessen Adresse ausfindig machte und ihm schließlich dem überraschten Musiker erklärte, er müsse bei ihm Unterricht nehmen. Kalma willigte ein und bald darauf siedelte Durand tatsächlich für ein Jahr mit Saxophon und Schlafsack nach Paris über.
Neben Free Jazz und zeitgenössischen amerikanischen Komponisten prägte die Traditionelle Musik außereuropäischer Kulturen Werner Durand. Einige Monate studierte er klassische nordindische Flötenmusik vor Ort und wandte sich in Berlin auch der arabischen Musik zu. Eher zufällig, beim Üben der Zirkularatmung, entdeckte Durand 1984 seine Liebe zu Röhren. Seither entstehen Stücke für selbstgebaute Instrumente, zumeist panflötenartige Bündel von bis zu eineinhalb Meter langen Plexiglasrohren. Ohne Grifflöcher vermag man auf diesen nur Grundton und Obertonreihe hervorzubringen, wobei verschiedene Blastechniken - europäischer oder arabischer Flötenansatz, Trompetenansatz oder Verwendung eines Saxophonmundstücks - Klangfarbe und Intonation bestimmen. Komposition und Instrumentenbau sind so kaum von einander zu trennen, wird doch mit der Zusammenstellung von verschiedenen Rohrlängen stets ein charakteristisches Tonsystem festgelegt. Dieses loten dann einfache, durch ein Digitaldelay verdichtete Patterns aus. Die meditative Versenkung in einen langsamen Klangverlauf interessiert Durand dabei mehr als die gegenwärtige Lust der Neuen Musik an narrativen oder dramatischen Formen.
Seine Haßliebe zu elektroakustischen Mitteln bringt Durands Selbstdiffamierung "Delaytant" zum Ausdruck. Wollte er die in seinen Stücken angestrebte rhythmische Komplixität ohne technische Tricks erreichen, müßte er wie Steve Reich zwanzig und mehr Instrumentalisten auf die Bühne bringen - ein finanziell völlig illusorisches Unterfangen. "Außerdem kann man auf Plastikrohren nicht zeigen, was man kann. Da ist es schwierig, überhaupt Musiker zu finden und ein kleines Ensemble zusammenzubekommen." Mit The 13th Tribe, einem Trio aus Durand, Erik Balke (Röhren) und Silvia Ocougne (akustische Gitarren), ist dies vor sieben Jahren jedoch gelungen. Das Cover ihrer CD Ping Pong Anthropology ziert eine alte Photographie aus der Kolonialzeit von zwei Ping Pong spielenden Afrikanerinnen, Sinnbild für Werner Durands Musik im zweierlei Hinsicht: "Durch das Delay ist es, als würde wie in afrikanischer Stammesmusik das ganze Dorf meine Patterns spielen. Und Tischtennis habe ich selbst jahrelang intensiv betrieben. Wie in meinen Stücken gibt es da klare und enge Regeln, und trotzdem unendlich viele Möglichkeiten der aktuellen Umsetzung."
Werner Durand ist ein Wanderer zwischen den Welten der Neuen Musik, des experimentellen Rock, Free Jazz und der außereuropäischen Musik. Mit großem Bedauern sieht er, daß diese Musikszenen sich immer mehr von einander abkapseln und der befruchtende Austausch im Berlin der 80er Jahre einem eingefahrenen Spezialistentum gewichen ist. Das Interesse europäischer Komponisten an der New Yorker Downtown-Szene gehört wohl der Vergangenheit an, jetzt, da sie selbst ihre Professuren bekleiden. Durand jedoch bleibt Berliner Downtown.
Volker Straebel 4.97