Klang-Recycling

Im Gespräch: Nicolas Collins, Komponist

Im Arbeitszimmer des Komponisten Nicolas Collins sucht man einen Flügel vergebens. Der findet sich zwar in der weitläufigen Friedenauer Altbauwohnung, doch nur deswegen, weil der DAAD, auf dessen Einladung Collins mit seiner Familie für ein Jahr nach Berlin gezogen ist, das Refugium seiner Kompositionsstipendiaten so eingerichtet hat. Die Noten auf dem Pult zeugen von den Klavierstunden des Sohnes, des Vaters Musik hingegen entsteht am Computer.

Geboren wurde Nicolas Collins im Entstehungsjahr von Stockhausens Tonbandkomposition "Studie II" (1954) und wuchs geradewegs in die rührige Szene live-elektronischer Komponisten seiner Heimatstadt New York hinein. Studien bei Alvin Lucier und die langjährige Zusammenarbeit mit David Tudor in der inzwischen legendären Gruppe "Composers Insides Electronics" prägten den Komponisten, der von Anfang an eher Rahmenbedingungen für musikalische Aktivitäten schuf, denn starr fixierte Werke abzuliefern. "Das, was ich in der Musik eigentlich mag, ist der Zufall. Ich schätze Situationen, die nicht vorhersehbar sind" beschreibt Collins sein künstlerisches Credo, das sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten zieht. Waren es zunächst in der Tradition Cages und Tudors die auch für den Aufführenden überraschenden Reaktionen selbstgebastelter Schaltkreise, verlagerte sich mit der pionierhaft frühen Verwendung von Samplern und Computern in den 80er Jahren der Zufall hin zur Auswahl des zu modifizierenden Klangmaterials. In "Devil's Music" (1984/85) etwa sind es Bruchstücke lokaler Radiosendungen, die live in Schleifen gebannt den in jenen Jahren noch unverbrauchten Rap-Rhythmus erzeugen. So entsteht ein Re-Mix des Radio-Mixes, ein Klang-Recycling, das Collins den zweifelhaften Ruf des Dekomponisten einbrachte.

Dabei arbeitet Collins gerade in der Grauzone zwischen Komposition und Improvisation. Anders als Cage ist er nicht am Zufall selbst, sondern an der Reaktion der Musiker auf diesen interessiert. Deshalb verwendet er auch keine Zuspielbänder in seinen Ensemblestücken, sondern generiert den elektronischen Part stets live. Seit etwa zehn Jahren verwendet er hierfür CD-Player, denen er die Stummschaltung des Pausen-Modus' ausgebaut hat. So entstehen sehr kurze, insistierende Klangschleifen ständig wechselnder Dauer, deren "seltsamer Swing" den Musikern den Rhythmus vorgibt. In seinem Streichquartett "Broken Light" (1991) folgen die Interpreten so kurzen Bruchstücken von Corelli, Locatelli und Torelli, deren kontrapunktische Struktur zu überraschend fortschreitender Harmonik eingefroren wird. Auch das CD-Scratching hat Collins erfunden, und die Berliner DJ-Szene ehrt ihren intellektuellen Vorreiter, indem sie in Acid-House-Clubs schonmal seine Platten auflegt.

Die unmittelbare Zusammenarbeit mit Musikern nimmt Nicolas Collins sehr ernst: "Ich schreibe wahrscheinlich eher für einen stimmten Instrumentalisten, als für ein Instrument." Seine Stücke sind stets "maßgeschneidert", wobei er nicht allmächtig jedes Detail zu kontrollieren versucht. "Wenn ein Cellist eineinhalb Minuten lang einen Klang aushält, wird man kaum sagen, er spielt einen Collins", erklärt er und vergleicht in sympathischer Bescheidenheit die Situation auf der Konzertbühne mit der in einer Fabrik. "Ich bin der Boss, ich übernehme die Verantwortung. Aber die einzelnen Handgriffe kennen die anderen viel besser als ich".

In Berlin hatte Collins eigentlich sein Opernprojekt weiterverfolgen wollen, das bislang nur zu einer interaktiven Klanginstallation gediehen ist. Doch zahlreiche Wünsche nach neuen Instrumetalstücken lassen daran zunächst denken. Anders als in den Niederlanden, wo er in den vergangenen vier Jahren die Stelle des künstlerischen Leiters von STEIM, einem Studio für Live-Elektronik, bekleidete, sieht er hier eine weniger strikte Trennung zwischen elektronischer und instrumentaler Musik gegeben. Die Szene ist offener, Reinhold Friedls "Zeitkratzer" haben vor zwei Wochen sein "Broken Choir" uraufgeführt, und dem Kammerensemble Neue Musik Berlin ist er bereits als composer-in-residence verbunden. Ob er also noch über seinen DAAD-Aufenthalt hinaus in der Stadt bleiben wolle? "Sicherlich - I'm still in the honey moon phase."

Volker Straebel 2.97

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leicht verändert unter dem Titel "Der Klangrecycler" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 7. Febr. 1997
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