Musik mit CD-Playern

Nicolas Collins mit dem Kammerensemble Neue Musik

Die "eventual environments" des Kammerensembles Neue Musik Berlin in der Parochialkirche waren eigentlich konzipiert als eine kleine Konzertreihe, in der Komponisten selbst festlegen, auf welche fremden Werke ihre eigenen Stücke treffen. Nicolas Collins hingegen verwandelte seinen Abend in ein reines Portraitkonzert, und statt mit David Tudor, Alvin Lucier oder Robert Ashley bedeutende Vertreter der nordamerikanischen experimentellen Musik aufzuführen, spürte er deren Einfluß in seinem eigenen Werken nach.

"Pea Soup" entstand 1974 während des Studiums bei Alvin Lucier und lotet mittels eines Feedbacksystems die akustischen Eigenschaften des Aufführungsraumes aus, die sich mit dem langsamen Umhergehen der drei Holzbläser verändern. Die sachten Schwebungspattern ziehen einen unmittelbar in ihren Bann und lassen die enge Verbindung von Klang und Bewegung ahnen, die doch nie genau nachvollzogen werden kann. Den akustischen Raum der Radiowellen hingegen erforscht "Devil's Music", für die Collins an einem mit elektronischen Gerätschaften überladenen Holztischchen Platz nahm und in DJ-Manier per Kopfhörer in die Radiopramme hineinhörte, bevor er Samples von ihnen live-elektronisch veränderte und vierkanalig wiedergab. 1985 in der Frühzeit des Hip-Hop und lange vor den Experimenten des DJ Scanner konzipiert, bot "Devil's Music" dem Komponisten Gelegenheit, von seinem sensiblen Form- und Klanggefühl zu überzeugen. In spontaner Musikalität setzte er weiche Verläufe gegen markante Brüche, konfrontierte in Schleifen überführte Worldmusic mit Kurzwellenrauschen und stotternden Nachrichtentexten, wobei der selten eingesetzte Hall sich nicht recht in das durchsichtige Geschehen fügen wollte.

Mit zwei Uraufführungen schließlich hat Collins das präzis agierende, die improvisatorischen Anforderungen souverän lösende Ensemble bedacht: "Still (After) Lives" läßt statt wie in "Still Lives" (1993) einen modifizierten CD-Player, nun ein akustisches Nonett unregelmäßige "Samplingloops" bilden und so munter durch eine Canzona von Guiseppe Guami stolpern. In "Stormy Weather" wird der Pickup einer E-Gitarre zum Lautsprecher eines elektrisch verstärktes Streichquartetts, das so die Gitarrensaiten in Schwingung vesetzt und metallisch grelle Klangverläufe erzeugt. In nimmermüder Lust am Experiment reduziert Collins die europäische Traditionsbesetzung zum Klanggenerator, der letztlich den Sound des Rock hervorbringt - schelmisches Spiel des DAAD-Gastes mit der Musikgeschichte.

Volker Straebel 6.97

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leicht verändert unter dem Titel "Stotterndes Radio" in Der Tagesspiegel (Berlin), 10. Juni 1997
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