Freiheit und Präzision

Im Gespräch: Eberhard Blum, Musiker

Eberhard Blum ist ein bedeutender Flötist Neuer Musik und prominenter Interpret von Lautpoesie, an den Wänden seines Studios reihen sich eigene großformatige Graphiken aneinander und während unseres Gespräches packt der Klangkünstler Martin Riches seine auf Anregung Blums entstandene "Flute-Playing-Machine" zusammen - dennoch antwortet der Universalist auf die Frage nach seinem Beruf schlicht: Musiker. "Jemand, der von Komponisten komponierte Musik aufführt."

Als wenn das so einfach wäre. Denn gerade jene Musik, für deren kompromißlose Interpretation der Wahlberliner international bekannt wurde, steht nicht sauber Note für Note auf dem Papier und wartet darauf, abgespielt zu werden. Blums besonderes Interesse gilt der "indeterminierten", der unbestimmten Musik, wie sie John Cage und in seiner Folge Komponisten wie Earle Brown und Christian Wolff seit den 50er Jahren komponierten. Deren konzeptionelle Werke enthalten keine musikalischen Symbole oder Graphiken, die es in Klang umzusetzen gilt. Sie stellen vielmehr theoretische Vorgaben dar, die Blum manchmal tagelang am Schreibtisch ausarbeitet, bevor er sie zur Aufführung bringen kann. Präzis den Anweisungen der oft nur aus Text bestehenden Partituren folgend, ist ihm stets daran gelegen, dem "Geist des Werkes" gerecht zu werden, und nicht - was anderen oft geschieht - dessen Freiheit in Beliebigkeit umschlagen zu lassen. "Du kannst nicht tun, was du willst, aber trotzdem ist alles möglich" zitiert er gern Cage, seine verantwortungsvolle Gratwanderung als Interpret charakterisierend.

Als der 20jährige 1960 die DDR verließ, um an der Hochschule in Westberlin bei Aurèle Nicolet Flöte zu studieren, war die amerikanische Avantgarde auch im Westen nicht wohlgelitten. Bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, die Blum bald regelmäßig besuchte, erlebte er sie - nach dem Auftritt von Cage 1958 - als regelrecht tabuisiert, was seine Neugier nur verstärkte. Doch erst zu Beginn der 70er Jahre, als Morton Feldman als DAAD-Stipendiat in Berlin lebte, kam Blum in direkten Kontakt mit ihren Vertretern, der bald in einer engen Zusammenarbeit mündete. 1972 folgte er Feldmans Einladung an das Center of the Creative and Performing Arts der University of Buffalo, New York, blieb dreieinhalb Jahre und formte zusammen mit dem Komponisten, Nils Vigeland (beide Klavier) und Jan Williams (Schlagzeug) die Gruppe "Morton Feldman and Soloists", die auch nach dem Tod Feldmans 1987 mit wechselnder Verstärkung in der ganzen Welt konzertiert.

Im Rahmen dieser Konzerte führte Eberhard Blum auch die Ursonate von Kurt Schwitters auf, erstmals 1975 in New York. "Ich war immer sehr an Dada interessiert, dem Widerstand gegen die etablierte, sattgewordene deutsche Kunst. Nur komponiert haben die nicht viel, das sind meistens poetische Auslassungen, Manifeste oder Aktionen, die fast ans Happening grenzen." Doch in den frühen 70er Jahren sah sich der Flötist immer häufiger mit Musikstücken konfrontiert, die ihm die Verwendung von Stimmklängen und Sprachelementen abverlangten. Diese ebneten den Übergang zu Aufführungen reiner Sprachkompositionen, die schließlich in den dreistündigen "Sixty-two Mesostics re Merce Cunningham" von John Cage gipfelten.

Wo aber soll man so etwas aufführen? "In einem normalen Kammermusiksaal geht das nicht. Das ist dann Teil meiner Arbeit, den richtigen Ort dafür zu finden, die richtige Stelle." Die Berlinische Galerie etwa, in der er im Januar Feldmans fünfstündiges For Philip Guston aufführte, wählt Blum oft für seine Konzerte aus. Dabei ist nicht nur der "richtige" Raum entscheidend, der Künstler Blum achtet auch darauf, daß die "richtigen Bilder" an den Wänden hängen. Eine Arbeit, die viel Zeit in Anspruch nimmt, und gleichberechtigt neben Aufführungstätigkeit und eigener künstlerischer Arbeit steht.

Da er trotz solchen Engagements die Neue Musik zu selten in Konzerten vertreten sieht, produziert Blum regelmäßig CDs und hat jetzt auch das Radio für sich entdeckt. Im vergangenen Jahr entstand beim Saarländischen Rundfunk das Hörstück One mit Solowerken von John Cage, die Cages Partitur "Variations IV" folgend zeitlich und räumlich, teilweise einander überlappend organisiert sind. Trotz des stellenweise chaotisch dichten Geschehens ist immer nur ein Interpret zu hören, Eberhard Blum, der auch dort, wo es im konzeptionellen Zusammenhang untergeht, jedes Detail mit unbedingter Präzision spielt, "wie es komponiert ist."

Volker Straebel 8.96


up     home

leicht verändert unter dem Titel "Freiheit, nicht Beliebigkeit" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 11. Aug. 1996
© Volker Straebel kein Abdruck ohne schriftliche Genehmigung des Autors / no reprint without author's written permission