Selbstvergessen

Individual-Konzerte im Isolationstank

Der Proband liegt von der Umwelt hermetisch abgeschlossen in einem Isolationstank. Er schwebt in der körperwarmen Salzlösung wie in einem Uterus, und stieße er nicht gelegentlich mit dem Fuß an den Rand der großzügigen Badewanne, die die Welt für ihn ist, er könnte vergessen, dass es überhaupt noch etwas gibt außerhalb seiner selbst.

Die Ohren sind von Wasser bedeckt. Was der Proband hört, ist allein das Rauschen seiner Blutgefäße und der Herzschlag, der bald immer ruhiger pocht. Aber kann man dieser Wahrnehmung überhaupt hören nennen? Vielleicht rauscht ja nicht nur das Blut, sondern das Ohr selbst. Und der Puls ist eher zu spüren als zu hören, der Schlag des Herzmuskels, der wie die Atmung den Brustkorb weitet, nur weniger stark, und etwas rascher.

Der Isolationstank heißt in Anlehnung an ein Konzept von Oswald Wiener "Bio-Adapter" und steht während des Berlin Beta Festivals in Kreuzberg. Die DJs Fennes, Zeitblom und Niemand haben ihn den Meditations- und LSD-Experimenten der siebziger Jahre entrissen und der Kunst zugeführt. Hat sich der Proband nach etwa 15 Minuten an seine Umgebung, oder vielmehr das Verschwinden jeder Umgebung, gewöhnt, führen sie ihm über die Salzlösung Schallsignale zu, die er nicht als Musik im herkömmlichen Sinne zu erleben vermag. Denn die Klänge sind aus den zuvor aufgezeichneten Herz- und Atemgeräuschen des Hörers abgeleitet. Zudem wird ihre Struktur vermittels einer Bio-Feedback-Steuerung (Hans-Joachim Krahe) von der Pulsfrequenz des Probanden beeinflußt - Erleben und Erlebnis durchdringen sich.

Die "Music for an Isolation Tank", die ab Mitte September auch als CD erhältlich ist (Rhiz 007 P1.0, Vertrieb: Mego) wird nur dann als vom Rezipienten verschiedenes Kunstwerk erfahren, wenn "Samples unbekannter Herkunft", technische Signale zumeist, auftauchen und von einer Wirklichkeit außerhalb des Hörers künden. Davon abgesehen verbleibt man im Fluß narzistisch-akustischer Introspektion. Nach einer halben Stunde verstummen die leisen Klänge und der Tankbewohner ist gehalten, in die Welt zurückzukehren. Nach der Dusche erhält er dafür eine CD seiner individuellen Körpermusik. So finden sich nicht nur die Wahrnehmungsbedingungen, sondern auch die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse der Musik auf den Kopf gestellt.

Volker Straebel

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leicht verändert unter dem Titel "Den eigenen Herztönen lauschen" in: Der Tagesspiegel, 2.Sept. 1999
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