Warten und Hoffen

Beuger-Uraufführung im BKA

Antoine Beuger ist ein Komponist der extremen Reduktion. Seine jüngsten Werke handeln nicht mehr von Prozeß und Struktur, von klingender Bewegung oder Entwicklung, ja kaum noch vom Klingen überhaupt. Beuger gestaltet die Zeit selbst. In seinem einstündigen "L'horizon unanime", den Peter Ablingers Ensemble Zwischentöne im BKA uraufführte, gibt es genau vier Ereignisse: Das Einschalten eines leisen Sinustons am Beginn, sein Ausschalten nach zehn bis vierzig Minuten, das Spielen eines leisen Tones von einem der Musiker irgendwann nach dem Ausschalten des Sinusgenerators und schließlich das Ende des Stückes. Der Rest ist Stille.

Mehr ist in der Partitur, die dem Publikum im Programmheft bekanntgemacht wird, nicht festgelegt. Niemand weiß, welcher der neun Musiker auf dem Podium aufstehen wird, um den Sinuston auszustellen, der in mittlerer Lage und scheinbar richtungslos den Raum färbt. Als es nach 24 Minuten Ellen Fricke übernimmt, ist er erste Schnitt gesetzt: Wir erfahren ein Ende, einen Abschied von dem vertrauten Ton, der in der Erinnerung noch lange präsent ist, bis das Gedächtnis unsicher wird und die Vergangenheit beinahe auslöscht in der Erwartung des Kommenden.

Dieses ist kein Geigen- oder Flötenton, den man sich vielleicht erhofft haben mag, sondern der sachte Klang einer Cymbal, den Kurt König in der vierzigsten Minute hervorbrachte. Nach wenigen Sekunden abgedämpft, hatte er ein klares Ende und, im Gegensatz zum Abbrechen des Sinustons, eine Ausdehnung in der Zeit. So trägt er mit Anfang, Dauer und Ende die Grundelemente des ganzen Stückes in sich. Dieser zweite Schnitt handelt von Wünschen und enttäuschter Hoffnung, denn nach ihm kommt nur das Warten auf den Schluß, das Ende der Musik in zwanzig Minuten. Hier gibt es keine Spannung, nichts Unvorhergesehenes mehr, sieht man den Geräuschen des Publikums und des Straßenverkehrs draußen ab. Doch wieder gibt es Erinnern und Vergessen.

Sein konzeptionelles Komponieren hat Beuger mit "L'horizon unanime" von Solo- und Duobesetzungen erstmals und überzeugend auf eine Ensemble-Situation übertragen. Daß der Hörer sich hier stärker als bei anderer Musik in die passive Rolle des Aufnehmenden gedrängt fühlt, mag vielleicht in der Zukunft Berücksichtigung finden. Warum sollte nicht auch das Publikum Verantwortung übernehmen und den Sinuston ausschalten dürfen? In der ersten Konzerthälfte blieben wir gern in der Rolle des Hörers und verfolgten stimmig dargebotene Werke von Ellen Fricke, Hauke Harder (Uraufführung: "Autunno del Tartufo"), Klaus Lang und Steve Reich.

Volker Straebel 2.99


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leicht verändert unter dem Titel "Stille pur" in: Der Tagesspiegel, 25.Febr. 1999
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