Röhrenklänge

Klanginstallation von Akio Suzuki in der DAAD-Galerie

Vor über einhundert Jahren haben die Klänge ihren Ort verloren. Schallplatte und Radio machten sie ablösbar von ihrem Entstehen, ihre ephemere Gestalt kann seither gespeichert, der Raum, den sie füllen, transportiert werden. Der überwiegende Anteil der Musik, die wir heute hören, ist medial vermittelt, und niemand fragt mehr, wie eine Opernbühne ins Wohnzimmer oder eine Rockband in den Walkman passt.

Eine real nachvollziehbare Form der Klangübertragung bestimmt das jüngere Werk des japanischen Performers und Klangkünstlers Akio Suzuki. Im vergangenen Jahr baute Suzuki in Donaueschingen eine tönerne Rohrleitung, die das Rauschen eines Baches in einen nahen Pavillon übertrug. Oder übertragen sollte. Denn über die Entfernung von gut dreißig Metern hinweg verloren sich die Wassergeräusche in den nur lose gefügten Röhren, und was man an deren Ende im Pavillon vernahm, war ein Rauschen wie von Muscheln, die man sich an die Ohren hält, gefärbt von der Erwartung, den Bach zu hören.

Für "tubridge 99-00" verband nun Akio Suzuki die vier Räume der DAAD-Galerie mittels dreier flexibler Kunststoffröhren von etwa handbreitem Durchmesser. An mannshohen Stativen aus verschraubten Gerüststangen ragen deren Mündungen in die Luft und lassen ihre Klänge verströmen. Diese stammen allerdings bei zwei Schläuchen nicht aus den Galerieräumen selbst, sondern aus dem New Taiza Tunnel in Tango, Kyoto. Wie in seinen "Self Study Events", die den Künstler in den sechsziger Jahren oft in Höhlen und Tunnel führten, griff Suzuki für diese Tonaufnahmen leicht in die vorgefundene Klangumgebung ein. Hier benetzte er die Fahrbahn mit Wasser, um obertonreichere, von Echo des Straßentunnels geprägte Rauschverläufe der vorbeifahrenden Autos zu erhalten.

Was in deren Rhythmus nun in die DAAD-Galerie schwappt, ist erfrischend frei von konkreter Narration. Ausgehend von dem aus Tunnel und Bridge (Brücke) gebildeten Titel "tubridge 99-00" mag man über den Ursprung der Röhrenklänge spekulieren und der über den Jahreswechsel andauernden Installation die Verbindung nicht nur von Orten, sondern auch von Zeiten zuschreiben - erfasst hat man das Gewirr der Kunststoffschlangen damit noch nicht. Denn Suzuki schafft einen Raum der Imagination, der Platz lässt für die heitere Erforschung des antizipierenden Hörens ebenso wie für die leichte Melancholie des Besuchers, dem die Klänge stets unerreichbar bleiben.

Volker Straebel 12.99

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leicht verändert unter dem Titel "Rauschen in Röhren" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 29.Dez. 1999
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