Klingende Gläser

Dirk Schwibbert in der Hörgalerie Singuhr

Die Hörgalerie Singuhr im Turmstumpf der Parochialkirche geht nun bereits in ihr zweites Jahr. Dort, wo einst die Glocken des namengebenden Carillons hingen, präsentiert in den Sommermonaten ein rühriger Förderkreis aktuelle Klangkunst, die den herben Raum mit rohen Backsteingewölben auf kreuzförmigem Grundriß in höchst unterschiedliche Klänge taucht. Zum Auftakt der Saison waren es Europäische Grillen von João Ricardo de Barros Oliveira, rund 600 kleine Metallinsekten, die den dunklen Glockenraum mit schrillem Sirren erfüllten, wenn das Licht der Grubenlampe eines Besuchers auf sie fiel.

Keine Spielerei, die schnell ihren Effekt verliert, ist hingegen die am Donnerstag eröffnete Installation Zwölf Gläser von Dirk Schwibbert. Der in Berlin lebende Klangkünstler hängte an den Ein- und Ausgängen der kurzen Tonnengewölbe gewaltige, bis zu 3,30 Meter hohe Glasscheiben auf, jeweils ein Paar gegenüber einer einzelnen, so daß die in der Architektur bereits angelegte Raumgliederung physisch verdoppelt wird. Wie Dan Graham bedient sich Schwibbert des Phänomens der Totalreflexion, die das Glas zugleich als Fenster und als Spiegel erscheinen läßt. So ist der Besucher nicht nur immer wieder mit seinem eigenen Anblick konfrontiert, sondern entwickelt auch ein besonderes Bewußtsein für den Raum hinter ihm, wird selbst, genau wie die Glasscheiben, zum trennenden wie verbindenden Glied der Raumteile.

Diese visuelle Erfahrung parallelisiert Schwibbert äußerst überzeugend in der akustischen Gestaltung. Im unteren Bereich jeder der Scheiben befindet sich ein faustgroßer, metallisch schwarzer Körperschallerreger ("Transducer"), der die Gläser zu hörbaren Schwingungen anregt. Klangmaterial war zunächst ein bis zu achttöniger Akkord aus elektronisch veränderten Aufnahmen des Carillons im Tiergarten, doch sollen demnächst auch live übertragende Geräusche aus der Umgebung der Galerie Verwendung finden und die Gläser durch Impulsketten zu Eigenschwingungen angeregt werden. Da die Spezialglasscheiben die Klänge streng rechtwinklig zu ihrer Oberfläche abstrahlen, lassen sich ihre Grenzen - auch auf Entfernung - akustisch genau nachvollziehen. So hört man, was man wohl in der Glasspiegelung ahnt, nicht aber wirklich sieht. Konzeptionelle Klarheit bricht sich in wunderbarer Weise an der begrenzten Wahrnehmungsfähigkeit des Besuchers.

Volker Straebel 8.97

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leicht verändert in: Der Tagesspiegel (Berlin), 2.Aug. 1997
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