Klangspinnen

Klanginstallationen von Martin Riches und von den Driesch, Dyffort, Lebkücher

Es dürfte nur wenige Städte geben, in denen an einem Tag bei gleich zwei Klanginstallationen zur Vernissage geladen wird. Berlin jedoch darf bereits seit den 70er Jahren als eines der internationalen Zentren der Klangkunst gelten, und in diesem Jahr erfreut es sich sogar zweier Ausstellungsorte, die ausschließlich Kunst zum Hören und Sehen präsentieren.

Für ihre Installation Lautsprecher und Kupferdraht haben in der Hörgalerie Singuhr die jungen Berliner Roswitha von den Driesch, Jens-Uwe Dyffort und Klaus Lebkücher 5kg Kupferdraht in wadenhöhe fein verspannt und die Kreuzungspunkte des Netzes mit 300, nur markstückgroßen pieco-keramischen Lautsprechern versehen. Aus diesen dringen leise Klickgeräusche in kurzen, charakteristischen Gestalten, die sich durch das rötlich schimmernde Kupfer am Boden entlang bewegen. Ein Computer steuert drei durch Rhythmus und Bewegungsvorschriften bestimmte mathematische Objekte ("Spinnen") durch das Netz. Treffen zwei solcher Objekte zufällig aufeinander, vertauscht ein genetischer Algorithmus einige ihrer Eigenschaften. So werden im Verlauf der Ausstellungsdauer die Spinnen im Netz fleißig vor sich hin mutieren und ihren dreistimmigen räumlichen Kontrapunkt weiterentwickeln, um zu hoffentlich interessanteren Strukturen zu gelangen, als sie sich dem Besucher bei der Eröffnung boten.

In ihrer skulpturalen Präsenz greifbarer sind die drei 2,43m langen hölzernen Orgelpfeifen, die Martin Riches für Ein Ton/A Note (1985-96) im Haus des Rundfunks aufgebockt hat. Sie sind auf fast die gleiche Tonhöhe gestimmt und bringen, je nachdem welche und wieviele der Besucher einschaltet, einen tiefen, körperlich massiven Klang oder verschiedene Schwebungsrhythmen hervor. Anders als bei seinen liebevoll konstruierten, zumeist mechanischen Musikautomaten verzichtet Riches hier ganz auf das Vorführen von Musik in technischer Präzision. Der puristisch klare Aufbau lädt zum individuellen Experimentieren ein, bei dem man jedoch die Intimität eines kleineren Raumes schmerzlich vermißt. In der Weite des Innenhofes gerät jedes Ausprobieren unversehens zur Aufführung, so daß die Steuerung der Pfeifen über Bewegungsmelder, wie bei einer früheren Präsentation geschehen, der Raumsituation angemessener gewesen wäre.

Volker Straebel 7.96

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leicht verändert unter dem Titel "Mutierende Insekten" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 10.Juli 1996
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