Musik zwischen Konzert, Theater und Installation

Von der Darbietung Klingender Kunst
Beitrag zur MaerzMusik 2003

"In der Skulptur und Malerei haben wir das Kunstwerk als das objektiv für sich dastehende Resultat künstlerischer Tätigkeit vor uns, nicht aber diese Tätigkeit selbst als wirkliche lebendige Produktion. Zur Gegenwärtigkeit des musikalischen Kunstwerkes hingegen gehört [...] der ausübende Musiker als handelnd, wie in der dramatischen Poesie der ganze Mensch in voller Lebendigkeit darstellend auftritt und sich selbst zum beseelten Kunstwerke macht"(1). In seinen Vorlesungen über die Ästhetik beschreibt Hegel die Musik als eine Kunst, die der Vergegenwärtigung, der Aufführung durch den Musiker bedarf. Mehr noch als die dramatische Poesie ist sie auf den künstlerischen Mittler angewiesen, der erst ihre Werke "im Sinne und Geist des Komponisten seelenvoll zu beleben"(2) vermag. Diese Vermittlung beschränkt den Rezipienten aber in seiner Freiheit im Umgang mit dem dargebotenen Werk: "Wem ein Buch nicht gefällt, der kann's weglegen, wie er an Gemälden oder Statuen, die ihm nicht zusagen, vorübergeht, und dem Autor steht dann immer noch mehr oder weniger die Ausrede zu Gebote, sein Werk sei für den oder jenen nicht geschrieben. Anders verhält es sich mit dramatischen Produktionen. Hier nämlich ist ein bestimmtes Publikum, für welches geschrieben sein soll, in Präsenz, und der Dichter ist ihm verpflichtet."(3)

Die Situation ihrer Aufführung ist der Musik von je her immanent. Ob als Tafelmusik oder für den kultischen Gebrauch bestimmt, als Militärmusik oder Gegenstand bürgerlicher Bildung und Versenkung, stets impliziert das Musikwerk sein Spielen und Hören. Ehe der Klang in den 1870er Jahren durch die technischen Mittel der Übertragung, Speicherung und Reproduktion von der räumlichen wie zeitlichen Gegenwart seiner Erzeugung ablösbar wurde, war die Musik an die Präsenz von Hörer und Interpret mit ihren sozialen Vereinbarungen und Beschränkungen gebunden. Dabei wurde die Frage nach der Bedeutung des visuellen oder theatralischen Aspekts einer jeden Musikaufführung unterschiedlich beantwortet. Claude Debussy ließ sein Flöten-Solo Syrinx, das er auch La Flûte de Pan nannte und damit das Instrument als materialen Gegenstand betonte, als Bühnenmusik von Gabriel Moureys Psyché vom Publikum unsichtbar hinter der Bühne spielen und behauptete so das Instrument als ganz in seinem Klang geborgen. Umgekehrt verstand Igor Strawinsky die physische Gegenwart der Musiker als wesentlichen Bestandteil der Musik selbst: "Ich habe immer einen Abscheu davor gehabt, Musik mit geschlossenen Augen zu hören, also ohne dass das Auge aktiv teilnimmt. Wenn man Musik in ihrem vollen Umfange begreifen will, ist es notwendig, auch die Gesten und Bewegungen des menschlichen Körpers zu sehen, durch den sie hervorgebracht wird."(4)

Damit sind die zwei grundlegenden Formen aufgeführter Musik jenseits des Musiktheaters benannt: Musik als Konzert mit der Tradition entsprechend in ritualisierter Form agierenden Musikern und Musik als Theater, in der das Verhältnis von Interpret und Rezipient vom Komponisten bestimmt wird. Die Musik als Installation, als Klanginstallation zumal, die dem Hörer nicht mehr Anfang und Ende ihres Klingens vorgibt, tritt als dritte Darbietungsform hinzu.

Musik als Konzert

In den Werken der "Zeit-Kunst" Musik wird dem Hörer ein fester zeitlicher Verlauf aufgeprägt. Aus der Perspektive des Rezipienten gilt dies selbst dann, wenn er einer Improvisation beiwohnt. Die Freiheit des Interpreten ist nicht die des Hörers. Dieser findet sich in seinem möglichen Verhalten dem Gehörten gegenüber durch die soziale Situation der Aufführung beschränkt, einzig frei zur bewussten Unaufmerksamkeit. Anders als der Leser dem Buch oder der Betrachter den Bildern kann sich der Hörer der Musik nicht ohne Weiteres entziehen. Allein seine Hör-Haltung kann er selbst bestimmen, ob er nun seismographisch dem Geschehen in aktueller Gegenwart von Augenblick zu Augenblick folgt, sich regressiv emotionalen Anmutungen oder Assoziationen hingibt, oder aber analytisch hörend die Gegenwart verlässt und im Pendeln zwischen Erinnerung und Erwartung musikalische Form konstituiert.

In den 1950er Jahren schlug sich in den Werken von John Cage ein zunehmendes Bewusstsein des Komponisten für seine Musik als stets aufgeführte nieder. War der Zyklus Music for Piano (1952-56) noch in einer Notenschrift fixiert, die die vom Pianisten hervorzubringenden Klänge bezeichnete, so notierte Cage die Time-Length Pieces (1953-56) als Aufführungs-Vorschrift, ähnlich einer Tabulatur, die nicht Töne sondern Griffe auf einem Instrument überliefert. Damit einher ging die Veränderung der Besetzungsangabe: Music for Piano ist für Klavier gesetzt, 31'57.9864" for a Pianist hingegen für einen Pianisten. Auch das Concert for Piano and Orchestra (1957-58) zeugt von dieser Entwicklung: im Englischen bezeichnet concerto das Konzert als musikalische Gattung, concert hingegen das Konzert als Veranstaltung.

Später erklärte Cage auf die Frage, ob ein Konzert stets eine theatralische Aktivität darstelle, "ja, selbst ein konventionelles Stück, das von einem konventionellen Symphonieorchester gespielt wird: der Hornist zum Beispiel entleert von zu Zeit zu Zeit sein Horn vom Speichel. Und dies erregt regelmäßig meine Aufmerksamkeit stärker als die Melodien und Harmonien u.s.w."(5) Diese Deutung des Konzertes als Theater liegt jedoch beim Rezipienten, nicht im aufgeführten Werk. Gleiches gilt für die in den letzten Jahren entwickelte Tendenz, Konzerte Zeitgenössischer Musik theatralisch zu inszenieren. Die Wahl ungewöhnlicher Aufführungsorte gehört ebenso dazu wie der Hang zu künstlerisch gestalteter Licht-Regie oder stummer Video-Projektion. Beides bleibt den Werken zumeist äußerlich.

In anderen Fällen liegt die Aufweichung der traditionellen Konzertform in der Musik selbst. Während die späten, mehrstündigen Kammerwerke Morton Feldmans an der Aufführungssituation eines konzertanten Musikwerkes festhalten, haben Komponisten wie La Monte Young und Phill Niblock Werke geschaffen, die zwar konzertant gespielt und rezipiert werden können, mit ihrer an Einzelereignissen armen, oberflächlich betrachtet statischen Struktur jedoch den Weg zur Installation eröffnen. La Monte Young gestaltete ab 1966 mit seinem Ensemble Theatre of Eternal Music tatsächlich potentiell "ewige" Konzerte, in denen sich die Musiker über mehrere Tage hindurch beim Spiel abwechselten. Später ersetzte er Live-Musiker durch Schwingungsgeneratoren, nannte aber beide Aufführungsformen gleichberechtigt "Continuous Sound and Light Enviroment".(6) Die 1960 von Karlheinz Stockhausen veröffentlichten Pläne in diese Richtung blieben im Gegensatz dazu unausgeführt: "So ist es ganz konsequent, Werke mit 'unendlicher' Dauer zu komponieren. [...] Es müsste möglich sein, dass solche Werke an einem bestimmten Ort permanent während längerer Perioden wiedergegeben beziehungsweise gespielt werden, ganz gleich, ob jemand zuhört, oder nicht: die Hörer können kommen und gehen, wenn es ihnen danach verlangt und wann sie wollen."(7)

Musik als Installation

Der Umgang mit musikalische Strukturen, die zu Werken extrem langer, eigentlich beliebig langer Dauer führen, beförderten die Aufweichung des Konzerts hin zur Installation. "Konzert-Installationen" werden heute Aufführungen genannt, in denen Musiker live in künstlerisch inszenierten Räumen agieren und das Publikum frei ist, sich zu bewegen und seine Verweildauer selbst zu bestimmen. Dieser Begriff ist jedoch unglücklich gewählt. Viele der als Konzert-Installation bezeichneten Ereignisse sind deutlich den Formen von Happening und Environment verwandt und stehen mehr in der Tradition der Performance-Art als der der Skulptur entwachsenen Installation.

Zu unterscheiden nämlich ist Musik, die wie eine oder in einer Installation präsentiert wird von solcher, die tatsächlich als Installation erscheint. Entscheidendes Kriterium ist, dass es die Musik selbst ist, die installativen Charakter hat, und sie nicht allein Klänge in einem multisensorischen Wahrnehmungsraum bereitstellt. Man hat der Klangkunst keinen guten Dienst erwiesen, als man in ihrer Gründungsphase (und bis heute) alle möglichen audio-visuellen Installationen ihr als Klang-Installationen zuschlug, obgleich deren Klingen oft eben nur eine von mehreren Wahrnehmungsebenen ist, und für sich genommen kaum den Ansprüchen niveauvoller künstlerischer Produktion genügt. Dies muss kein Urteil über das jeweilige Werk in seiner Gesamtheit bedeuten – durchaus kann überzeugen, was eben auch und nicht wesentlich klingt. Klangkunst ist es deswegen aber noch lange nicht.

Installative Musik muss nicht potentiell ewig dauern, sie kann wie die Mini-Fan Music (1992) von Jens Brand und Waldo Riedl einen zeitlich begrenzten, klar gerichteten mehrstündigen Verlauf nehmen. In dem Stück legen die Musiker eine Vielzahl von Saiteninstrumenten, zumeist Gitarren, aber auch Geigen, Banjo und Ukulele auf ihren Zargen auf den Boden und platzieren Taschenventilatoren (Mini-Fans) dergestalt daneben, dass deren rotierende Flügel die Saiten der Instrumente streifen und zum Klingen bringen. Durch die nachlassende Leistung der Batterien ändert sich im Verlauf von vier oder mehr Stunden die Drehgeschwindigkeit der Rotoren und damit der Winkel ihrer Blätter. Dadurch werden nach und nach immer tiefere Seiten "gespielt", bis schließlich der dichte, an Schwebungen reiche Klang langsam verebbt.

Wie bei Alvin Luciers Music on a Long Thin Wire (1977), in der die Veränderungen des elektrischen Widerstands eines langen, gerade gespannten Metalldrahtes einen Sinuston modulieren, ist der visuelle Anteil der Musik-Installation Mini-Fan Music allein durch die Klangerzeugung bestimmt. Dass die Saiteninstrumente im Kontext der Aufführung wie Skulpturen anmuten, ist der Situation geschuldet und entspringt nicht explizit künstlerischer Gestaltung. Deshalb darf das Werk als installative Musik gelten und weniger als performed installation.

Musik als Theater

Mit dem Begriff der performed installation bezeichnet man in der Regel (Klang-) Installationen, die immer oder zeitweilig wie ein Instrument live gespielt werden. Alvin Lucier sprach einmal von dem "Problem [...] zu entscheiden, welche Werke installiert und welche aufgeführt werden sollen"(8), und tatsächlich ist die Grenze oft fließend, wie etwa bei David Tudors Rainforest (1968-74), ein Ensemble skulpturaler Tonabstrahler, das sowohl live bespielt als auch als Installation präsentiert wurde. Wenn jedoch besondere Aufführungsräume oder –situationen geschaffen werden, in denen Musiker (mit ihren traditionellen Instrumenten) live spielen, überwiegt der theatralische Charakter einer solchen Aufführung. Die Gemeinschaftsproduktion Dark Matter von dem Komponisten Richard Barrett und dem Bildhauer Per Inge Bjørlo, bei der ein Musiker-Ensemble in einem skulptural gestalteten Bühnenraum agiert, ist hierfür ein Beispiel, das in völliger Dunkelheit zu spielende Streichquartett In ijj. Noct. von Georg Friedrich Haas ein weiteres.

Bei anderen Stücken aus diesem Bereich ist das Publikum frei, sich im Raum zu bewegen und seine Aufenthaltszeit selbst zu bestimmen. Nicolas Collins entwirft für seine Werkgruppe Truth In Clouds (seit 1994) Environments aus akustisch präparierten Gegenständen, aus denen Klänge oder Tonaufnahmen klingen, die teilweise durch den Besucher mittels der Bewegung eines Weinglases auf einem Tisch interaktiv gesteuert werden. Hier sind auch – hinter einem Paravent verborgen – Musiker involviert, die über ein Display von dem Compter-System in Echtzeit generierte Spielanweisungen erhalten. Hier von performed installation zu sprechen griffe zu kurz, denn das Environment ist hier weniger Instrument als immer schon interaktives System, dessen musikalische Möglichkeiten dem Computerprogramm bereits eingeschrieben sind.

Auch wenn es keine klare Trennung zwischen Bühne und Publikum gibt, kein fester zeitlicher Verlauf etabliert wird und Collins nicht die Geschichte einer spiritistischen Sitzung erzählt, sondern einzig ihre Situation evoziert, spielt hier Musik Theater. Seinen Traditionszusammenhang findet Truth In Clouds nicht in der Installationskunst sondern in der Performance-Art, in Environment und Happening. Die Mischformen des New Theater der USA der 1960er Jahre erweisen sich als die in der Debatte um Klangkunst und Musikperformance unterschätzen Vorläufer aktueller genreübergreifender Konzepte.

Musik als Musik

Dass die Musik als Musik, die reine, von ihren Aufführungsformen und funktionalen Zusammenhängen unabhängige Musik im Bereich avancierter Aktueller Musik sich als Fiktion erweist, ist ein Mangel nicht. "Zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist"(9) – der Eingangssatz von Adornos Ästhetischer Theorie gilt insbesondere für die Musik im Zeitalter ihrer medial vermittelten Omnipräsenz. Auf die künstlerische Befragung ihres klanglich kompositorischen Materials folgt nun die der Darbietung und Rezeption.

Volker Straebel 01.03

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in: Programmbuch MaerzMusik 2003, Pfau-Verlag, Saarbrücken 2003, S.26-33
© Volker Straebel kein Abdruck ohne schriftliche Genehmigung des Autors / no reprint without author's written permission



Anmerkungen

  1. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Frankfurt/Main 1986, Bd. 3, S. 218, Hervorhebung im Original
  2. ibd. S. 219
  3. ibd. S. 496
  4. Igor Strawinsky: Erinnerungen. Übertragung ins Deutsche von Richard Tüngel. Zürich und Berlin 1937, S. 93
  5. Michael Kirby und Richard Schechner: An Interview with John Cage, in: Tulan Drama Review 10 (1965), 2, S. 50-72, hier S. 50
  6. La Monte Young und Maria Zazeela: Continuous Sound and Light Enviroments, in: Sound and Light. La Monte Young und Maria Zazeela, hrsg.v. William Duckworth and Richard Fleming, Lewisburg 1996 [= Bucknell Review 40 (1996)], S. 218-221
  7. Karlheinz Stockhausen: Momentform. Neue Zusammenhänge zwischen Aufführungsdauer, Werkdauer und Moment [im Nachtprogramm des WDR 1960], in ders.: Texte, Bd. 1, Köln 1963, S. 189-210, hier S. 205, Hervorhebungen im Original
  8. Alvin Lucier: There are all these things happening. Thoughts on installations (1994), in ders.: Reflections, Interview, Scores, Wrirings, hrsg.v. G. Gronemeyer und R. Oehlschlägel, Köln 1995, S. 520-535, hier S. 520
  9. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main1973, S. 9

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