Klangbrunnen

Bernhard Leitners Klangquellen

Wie seine Klangskulpturen speziell fürs Tönen erdachte Formen und Objekte darstellen, schuf Bernhard Leitner in seinen Klanginstallationen oftmals auch den Raum selbst, den er akustisch zu gestalten wünschte. Der Ton-Raum (1983) in der Technischen Universität Berlin ist solch ein künstlich in die Architektur des Universitätsgebäudes eingepaßter Raum, der Cylindre Sonore (1987) fügt sich als begehbarer Beton-Zylinder in die Landschaft des Parc de la Vilette, Paris. Leitners jüngste permanente Klanginstallation, die Klangquellen (1997) im Berliner Atrium, reagiert jedoch auf eine vorgegebene Raumsituation, und zwar mit architektonischen wie klanglichen Mitteln.

Das im April fertiggestellte Atrium von Volkwin Marg (von Gerkan, Marg + Partner, Hamburg) gruppiert an der Friedrichstraße Ecke Leipziger Straße Büroflächen auf sieben Geschossen um einen großzügigen rechteckigen Innenhof, der von einem gläsernen Tonnengewölbe überspannt wird. Die für das Neue Bauen in Berlin so typische Passagensituation erreicht der Besucher von der Friedrichstraße kommend über eine spektakuläre Natursteintreppe ohne Podest und Geländer, die zum auf dem Niveau des ersten Obergeschosses gelegenen Hof hinaufführt, und diesen auf voller Breite optisch zum Eingang hin verlängert. Von dort ist die Grundfläche des Hofes nicht einsehbar; man bedient sich des in der Mitte der Treppe angeordneten und stets laufenden Rolltreppenpaares, um hinaufzugelangen.

Dort erkennt man bald im hinteren Drittel des Platzes einen Brunnen aus zwei flachen Metallschalen, die obere 3m im Durchmesser und etwa 45cm hoch in einem tiefen Mischblau, die untere etwas breiter und flacher in geschliffenem Metallglanz, der die Farbe der Fenster und Geländer der Passage aufnimmt. An Stelle einer Fontäne findet sich eine ruhige Oberfläche, das Wasser rinnt gleichmäßig in die Fangschale und erzeugt ein helles, erfrischendes Plätschern, das, wendet man sich ab und geht zur gewaltig abfallenden Treppe zurück, schnell an Präsenz verli ert und am Brunnen zurückzubleiben scheint. Kurz vor der Treppe vernimmt man nun ein ähnlich helles, jedoch gänzlich indifferentes Rauschen, als dessen Quelle sich erst nach einiger Zeit vier gewaltige, 6m hohe Metallstelen ausmachen lassen, die den Platz architektonisch abschließen. Im Innern der aus 3mm starkem, auf einer Grundfläche von 110cm x 45cm präzis gekantetem Bleches in der Farbe der unteren Brunnenschale gebildeten Säulen plazierte Bernhard Leitner je einen Lautsprecher, der mit seinem Magneten direkt am Metall haftet und das mittels zweier Mikrophone und einer Filterbank übertragene Brunnenrauschen wiedergibt. Die akustische Trägheit der Klangstelen ebnet die Differenzierung des Klangverlaufes ein; aus Plätschern wird Rauschen.

Hatte der Besucher den originalen Wasserklang am Brunnen zurückgelassen, bleibt ihm doch das Stelen-Rauschen auch bei seinem Abstieg zur Straßenebene erhalten. Nach der Erfahrung des Innenhofes entsprechend akustisch sensibilisiert, ist nun der von den mächtigen Stelen abgestrahlte Klang auch im Eingangsbereich zu vernehmen, mischt sich mit den Fahrgeräuschen der Rolltreppen und scheint von dem optisch verschwundenen Brunnen zu künden. Die auch von unten einsehbaren Metallsäulen stehen in ihrer Doppeltheit als architektonisches wie klangerzeugendes Element symptomatisch für das überzeugend eingelöste Konzept Bernhard Leitners: visuelle und akustische Raumerfahrung zu verschmelzen.

Volker Straebel 97

Die permanente Installation ist zu den üblichen Geschäftszeiten zugänglich.

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leicht verändert unter dem Titel "Berliner Klangbrunnen" in: Positionen, Beiträge zur Neuen Musik, 32 (August 1997)
© Volker Straebel kein Abdruck ohne schriftliche Genehmigung des Autors / no reprint without author's written permission