Unter Lautsprecherbäumen

Die Inventionen präsentieren das Pariser Acousmonium

Darbietungen elektro-akustischer Musik haben oftmals den spröden Charm des bastlerhaft Technischen, wenn das Publikum sich nicht Musikern, sondern einigen auf der Bühne plazierten Lautsprechern gegenüberfindet. Kein Interpret erschafft die Kompositionen in Gegenwart der Hörer neu, dafür sind alle Aufführungen eines Tonbandstückes potentiell identisch. Ideal einer Musik, die sich der Situation ihrer technischen Reproduzierbarkeit und medialen Vermittlung stellt?

Daß solche in den frühen 50er Jahren von den strengen Serialisten um Karlheinz Stockhausen verfochtene Anschauung Ideal bleiben muß, wurde vom Pionier der musique concrète, der Musik aus vorgefundenen Klängen, Pierre Schaeffer, bald erkannt. Natürlich ist jedes Abspielen von Tonbandmusik durch die akustischen Eigenschaften des Konzertsaals ebenso beeinflußt wie durch das verwendete technische Gerät. Diesen Umstand begriff François Bayle, Leiter der von Schaeffer begründeten Groupe de Recherches Musicales (GRM) in Paris als Chance und entwickelte 1972 das Acousmonium, ein komplexes, aus über sechzig Lautsprechern bestehendes Wiedergabesystem. Die kugelruden, baumhaft verzweigten, zylindrischen oder gewohnt quaderförmigen Lautsprecher - manche sind rot lackiert, andere farbig beleuchtet - stehen bei den Konzerten in der Parochialkirche symmetrisch im Raum verteilt. Bei der Wiedergabe eines Tonbandstückes werden nun die Klänge live über ein Mischpult den einzelnen Lautsprechern zugewiesen, die sie mit unterschiedlicher Charakteristik abstrahlen. Damit erfährt das Tonbandstück eine jeweils aktuelle Interpretation und wird klanglich wie räumlich organisiert.

Was nicht jedem gut bekommt. So stand bei der Präsentation vor-stereophonischer Stücke von Pierre Schaeffer, etwa der Etude aux chemins de fer in der Erstfassung von 1948, die aus der räumlichen Aufspaltung erwachsene größere Transparenz der Wiedergabe im Gegensatz zum Wunsch nach einer authentischen Aufführung. Allerdings verwahrte sich François Bayle, der hier die Klangregie übernahm, im Gespräch gegen diesen Vorwurf und berichtete, daß Schaeffer selbst seine frühen Werke auf dem Acousmonium gespielt habe.

Unproblematisch hingegen die Situation bei den in den 80er und 90er Jahren bei der GRM produzierten Stücken, die als "akusmatische Musik" komponiert wurden. Obgleich sie keine komplizierte Mehrspurtechnik verwenden, erreichte ihre Aufführung oppulente räumliche Präsenz und große klangliche Differenziertheit. Dies konnte jedoch nicht über das häufige Scheitern der Komponisten an der zwölf bis 20-minütigen Großform hinwegtäuschen. Immer wieder ähnliche chorische Flächen und intern strukturierte schmale Klangbänder mußten als Zusammenhang stiftende Elemente herhalten. Und die pizzikatohaft perkussiven oder an Holzbalsinstrumente erinnernden Klänge des Vordergrundes fast aller Stücke ließen an der Variabilität der Studioausrüstung der GRM zweifeln. Da nutzte auch Åke Parmeruds Versuch wenig, in Renaissance von 1995 die Klangwelten analoger Synthesizer und mittelalterlicher Krummhörner zu verbinden. Ausblicke hingegen boten Annam von François Donato (1993), das mittels steigender Glissandi den Eindruck ständiger Beschleunigung erzielt, und die letzten sechs Miniaturen aus Denis Dufours 12 Mélodies acousmatiques (1988), einem Reigen surrealer Fantasien. Man darf gespannt sein, was die heute in der "Langen Nacht des Akusmoniums" präsentierten deutschen Komponisten dem entgegenzusetzen haben.

Volker Straebel

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leicht verändert unter dem Titel "Lautsprecherbäume", in: Der Tagesspiegel (Berlin), 3.Juni 1996
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