Abenteuer des Hörens

20 Jahre Freunde Guter Musik

In Presse-Erklärungen und Festival-Rezensionen wird Musik als neu, zeitgenössisch, aktuell, innovativ, in jüngster Zeit auch gern als authentisch bezeichnet - kaum aber findet sich das Wort "gut" im Zirkus apotheotischer Adjektive. Ihm haftet leicht der Eindruck des Geschmäcklerischen an, obwohl "gut" weniger als alle anderen Charakterisierungen von unausgesprochenen ästhetischen Präferenzen begleitet wird. Hier geht es nicht um zuvor unberührte Bereiche kompositorischen Denkens, um Fortschritt, Technik oder um Partituren, deren Tinte noch feucht ist. Hier ist von Qualität die Rede, die es in jeder Spielart musikalischer Kultur zu entdecken gibt.

Dass die Freunde Guter Musik eben diesen Namen tragen, entspringt also programmatischer Absicht. Der eingetragene Verein, der heuer auf eine zwanzig jährige Geschichte als Veranstalter von Festivals, Konzerten, Performances und Installationen in Berlin zurückblicken kann, ist zum Protagonisten einer fröhlichen Musikforschung geworden, die Entlegenes entdeckt, Abwegiges wohlwollend in Augenschein nimmt und bedeutenden Positionen die Anerkennung zu teil werden lässt, die ihnen der reguläre Betrieb versagt. Es war immerhin das wohl subventionierte West-Berlin der 1980er Jahre, in dem Matthias Osterwold, Ursula Block und Werner Durand zusammen mit anderen Enthusiasten sich zur Gründung der Freunde Guter Musik genötigt sahen, um ein Konzert der 4. Symphonie ("Physics") von Glenn Branca auf die Beine zu stellen, für das sich kein Veranstalter hatte finden wollen. Zu den Akteuren der ersten Konzert-Reihe, die die Freunde Guter Musik unter dem Titel "New York Explosion" im Mai 1983 im Loft im Metropol präsentierten, gehörten u.a. Fred Frith, Elliott Sharp und John Zorn. Diese Künstler, die heute mit nicht geringem kommerziellen Erfolg agieren und inzwischen auch die Weihen der etablierten Festivals Neuer Musik erhalten haben, waren damals kaum über den Dunstkreis der New Yorker Downtown Szene hinaus bekannt.

Der Verbindung mit New York mag auch die Neigung zum Loft-Konzert entsprungen sein, der die Freunde Guter Musik in der langjährigen Konzert-Reihe "Musik am Sonntag Nachmittag" nachgingen. Im "Institut Unzeit", in der gleichen Kreuzberger Fabriketage wie das Büro der "Freunde" gelegen, gaben bald Takehisa Kosugi, Shelley Hirsch, Arnold Dreyblatt, Phill Niblock, Fast Forward, Malcolm Goldstein, David Moss, Tibor Szemzö und James Fulkerson ihre Performances. Die Programmzettel der ersten beiden Jahre lesen sich wie ein Who is Who der experimentellen Musik - zugleich legen sie Zeugnis ab von dem Entdeckergeist und der innovativen Neugier der Berliner Szene jenseits der großen Häuser und Institutionen.

Denn was die neue Musik angeht, erscheint in der Rückschau der Westteil der Stadt als vom Puls der Zeit weitestgehend abgeschnitten. Die legendären Metamusik-Festivals der 1970er Jahre, die Aktivitäten des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und die Klangkunst-Ausstellung "Für Augen und Ohren" 1980 in der Akademie der Künste bildeten rühmliche Ausnahmen. Es blieb den Freunden Guter Musik vorbehalten, im Rahmenprogramm für Harald Szemanns legendäre Ausstellung "Der Hang zum Gesamtkonzert" 1984 David Tudor mit einem Cage-Programm, Robert Ashley mit seiner Multimedia-Oper "Atlanta" und Brian Eno mit einer Klangsinstallation im Flughafen Tegel ("Music for Airports") nach Berlin einzuladen. Zu diesem Festival-Programm gehörten aber auch Konzerte mit Werken von Erik Satie, Charles Ives, Ivan Wyschnegradsky und Josef Matthias Hauer - Zeichen für die Verbindung zeitgenössischer mit historischen, doch weiterhin aktuellen Positionen, die den spezifischen Blick der Freunde Guter Musik auf die Musik- und Kunstgeschichte bestimmt. Dieser Blick auf die Kunst, der vom intellektuellen Milieu um Helga de la Motte-Haber, die seit 1978 an der TU Berlin Musikwissenschaft lehrt, entscheidend geprägt wurde, richtete sich bald auf Phänomene zwischen den etablierten Genres und Gattungen. Klangperformances von Rolf Julius, Gunter Demnig und Akio Suzuki (1985, 1986), Homecomputer-Konzerte "Music with Memory" von David Behrman, Paul de Marinis, Ron Kuivilla, Nicolas Collins (1986), schließlich in mehrtägiges Klangkunst-Festival in Berlin und ein "Internationales Audio Art Symposium" in Kooperation mit der Ars Electronica in Linz (1988) halfen, zusammen mit entsprechenden Komponisten- und Künstler-Stipendien des DAAD, den Ruf Berlins als Metropole der Klangkunst zu etablieren und zu festigen. Vielleicht lässt sich sogar konstatieren, dass der Begriff der Klangkunst durch diese Verbindung von Künstlerförderung und wissenschaftlicher Reflexion überhaupt erst entwickelt und verbreitet wurde. Die Funktion des Veranstalters, künstlerische Positionen zu kommunizieren, mag hier die Grenze hin zum Ausprägen und Fördern bestimmter Tendenzen überschritten haben - eine Entwicklung, die seit den 1990er Jahren häufiger zu beobachten ist.

Ebenfalls der Verbindung von Musik und Bildender Kunst verpflichtet, wenn auch weniger an der materialen Verschmelzung dieser Gattungen interessiert, ist die 1999 im Verein mit dem Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart begründete Veranstaltungsreihe "Musikwerke Bildender Künstler". Die "Symphonie Monoton - Silence" von Yves Klein kam hier ebenso zu Aufführung wie Ensemble-Kompositionen von Hanne Darboven und Hermann Nitsch. Zu einem Höhepunkt dieser Reihe darf sicherlich die Uraufführung von Rodney Grahams "Parsifal" 1999 gelten. Die konzeptionelle Komposition des kanadischen Künstlers fügt in einer siebentaktigen Passage aus der Verwandlungsszene im 1. Akt von Wagners "Parsifal" den vierzehn Orchesterstimmen jeweils so viele Pausen hinzu, dass sich für jede Stimme eine andere Dauer von drei bis 47 Takten ergab. Diese Passagen denkt Graham nun seit der Uraufführung des "Parsifal" in Bayreuth 1882 in Schleifen gespielt. Weil die Dauern der Schleifen im Verhältnis kleiner Primzahlen zueinander stehen, wird das Orchester erst nach annähernd 39 Milliarden Jahren wieder zusammen sein. Bei der Aufführung im Hamburger Bahnhof erklang nun ein "Echtzeit-Ausschnitt" von etwa zwei Stunden Dauer, dessen Verhältnis der Einzelstimmen durch die Aufführungszeit (Datum und Uhrzeit) bestimmt war und in dieser Form nie wieder gespielt werden soll. Die konzeptionelle Partitur dehnt die Idee der Prozess-Komposition weit über die tatsächliche Aufführungssituation hinaus.

Immer wieder gelangen den Freunden Guter Musik Konzerte und Veranstaltungen wie diese, denen man kunst- und musikgeschichtlich bleibenden Wert beimessen möchte. Die "Büromusic" in unvermieteten Neubauten, in der Nicolas Collins, Markus Popp (Oval) und Jim O'Rourke 1997 in Musterbüros am Checkpoint Charlie und in der Charlottenstraße elektronische Klänge auf CD brannten und ein Fahrrad-Kurier die Tonträger zum wechselseitigen ReMix etwa 300 Meter durch die Stadt fuhr, mag dazu gehören, ebenso Christian Marclays "Berlin Mix", in dem der Klangkünstler 1993 ein Simultankonzert mit 100 Musikern für Streichorchester, Hip Hop DJ's, Opernsänger, Blaskapelle, Rock Band, ethnisches Ensemble u.a. dirigierte. Neben solchen Höhepunkten zeichnet sich die Arbeit der Freunden Guter Musik aber vor allem durch die Beständigkeit aus, Konzertreihen auf hohem künstlerischen Niveau zu kuratieren und zu veranstalten. Die Urban + Aboriginal - Festivals, die "gute Musik" aus den entlegensten Regionen der Welt vorstellen und die Berührung zwischen Sub- und Hochkultur, Ethno, Pop, Experiment und Tradition nicht scheuen sondern suchen, gehören dazu. Dass der rührige Verein, dessen Aktivitäten derzeit von Ingrid Buschmann und Vilém Wagner koordiniert werden, dies alles ohne institutionelle Förderung zu leisten vermochte, gehört zu den zwiespältigen Wundern des Kulturbetriebs. Denn so sehr man anderen Städten und Kunstszenen solch gute Freunde wünschen möchte, so sehr wünschte man den Berliner Freunden mehr Planungssicherheit und weniger Sorgen um die eigene Zukunft.

Volker Straebel 09.03

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leicht verändert unter dem Titel "Abenteuer des Hörens" in: Neue Zeitschrift für Musik, 164 (2003), H.5 (Sept./Okt), S.46-47
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