AIDS allein reicht nicht

David Firsts Oper als europäische Erstaufführung im Waschhaus Potsdam

Dem Potsdamer Waschhaus ist mit seinem New York Festival, das in der zweiten Augusthälfte allabendlich zu Konzerten und Kino lädt, offensichtlich ein Coup gelungen. Während sich in den Ausstellungsräumen New Yorker Künstler unterschiedlicher Provenienz mit Installationen und Performances vorstellen, bietet das Musikprogramm einen guten Überblick über das aktuelle Geschehen in der Downtown Szene. Zu dieser gehört David First, der als Free Jazz Gitarrist zusammen mit Cecil Taylor aufgetreten war, bevor er sich in den 80er Jahren mehr dem Rock und der experimentellen Improvisation zuwandte. In seinen konzentrierten Solokonzerten verkörpert er den Typus des Composer-Performers, etwa wenn er in einer New Yorker Galerie einem Fernseher gegenübersitzt und, von dessen Reality-TV-Bildern inspiriert, auf seiner E-Gitarre dichte, stark repetetive Klanggewebe hervorbringt. Das Spiel mit populärem Material und der Form des avancierten Minimalismus gelingt ihm virtuos.

Seinen ersten Ausflug ins Musiktheater, die Multimedia-Oper The Manhatten Book of the Dead, zeigt das Waschhaus in europäischer Erstaufführung. Die provisorisch in ein Theater verwandelte "Russenhalle" war bis auf den letzten Platz ausverkauft, als vor ebenfalls provisorischem Bühnenbild ein gut disponiertes Kammerensemble unter der Leitung von Petr Kotik seinen Weg durch die Partitur nahm. Kotik und der souveräne Solist Thomas Buckner (Bariton) waren bereits an der Uraufführung im vergangenen Jahr beteiligt, und im Verein mit dem Komponisten an der E-Gitarre vermochten sie eine interpretatorisch stimmige Aufführung sicherzustellen.

Dieses half jedoch weder über das klägliche szenische Konzept (Regie: Dirk Cieslak), noch über die grundlegenden Diskrepanzen in der Anlage des Stückes hinweg. Gleichwohl das Libretto aus der Hand des Komponisten keine lineare Handlung etabliert, kreist das Geschehen um das Wüten von AIDS in der New Yorker Schwulenszene. Die Trauer über den Tod des Geliebten wird sogar über die Dimension von Verdis Requiem hinaus aufgeblasen und in einfachen Texten, die das Niveau sentimentaler Popballaden nicht überschreiten, ausgiebig besungen. Musikalisch bewegt sich das Ganze zwischen zuckersüßen Soft-Minimal, Hippie-Rock und elektronisch wie instrumental hervorgebrachten mikrotonalen Klangbändern, allgegenwärtig die Lust an der rituellen Wiederholung. Dazu flimmern bemüht verführerische Männer in Videoschleifen und das live gespielte Tetris Game eines TV-Junkies über die Bildschirme. Aufdringlicher können Metaphern nicht gesetzt sein. Einziger Lichtblick ist die schnell geschnittene Sequenz des New Yorker Filmemachers Dave Geary, der auch mit einem eigenen Programm im Festival vertreten ist.

Firsts Oper teilt das Schicksal vieler (musik-)theatralischer Werke der vergangenen 10 Jahre, die sich an der Schwere ihrer AIDS-Thematik künstlerisch überheben. In der Folge von Tony Kushners Angels in America entstand jenseits des Atlantik ein neues Genre, dessen Insistieren auf persönlicher Betroffenheit und narzistischem Selbstmitleid, gepaart mit naiv ungebrochenem emotionalen Ausdruck abgelöst von der schwulen Erfahrung sozialer Ghettoisierung schlicht in Kitsch mündet. Da nützt auch der an Philip Glass und John Adams angelehnte Versuch einer Intellektualisierung durch dreiklangsseelige Minimalmusic wenig. Die Community bleibt aufgefordert, einen künstlerisch befriedigenden Umgang mit ihrer Geißel zu finden, die Thematik AIDS allein reicht eben nicht.

Volker Straebel 8.96

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leicht verändert unter dem Titel "Maxi-Metaphern" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 18.Aug. 1996
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