Klang-Rekurs

Ensemble Mosaik porträtiert Orm Finnendahl

Zu den interessantesten Berliner Komponisten gehört zweifellos Orm Finnendahl, der, nachdem er eine für die Stadt typische Kariere als Mitarbeiter am Elektronischen Studio der TU und langjähriger Kurator der Kreuzberger Klangwerkstatt durchlaufen hat, nun das Institut für Neue Musik der HdK leitet und mit durchdachten Veranstaltungen den Diskurs über Zeitgenössische Musik belebt. Sein Komponieren ist geprägt von der intimen Kenntnis von Reihentheorie und fraktaler Mathematik, deren Anwendung in algorithmischer Partitursynthese Finnendahl mit individuell-künstlerischen Eingriffen konfrontiert. Die so entstehenden postseriellen Instrumentalwerke sind in ihrer gestischen Anlage im Detail den Gruppenkompositionen Stockhausens verwandt, offenbaren aber auch auf formaler wie kontrapunktischer Ebene ausgewogene Konstruktion.

In einem Portraitkonzert in der Kulturbrauerei führte das im vergangenen Jahr im Umfeld der HdK gegründete Ensemble Mosaik unter der zurückhaltenden Leitung von Enno Poppe in das Werk Finnendahls ein. Das Prinzip der Verdichtung zog sich durch den schlüssig zusammengestellten Abend: Im hier uraufgeführten Immobilie beschrieben sechs Musiker mit Maultrommeln, unterstützt von Zuspielband und live für Aufnahme und Wiedergabe eingesetzten Ghettoblastern, den Übergang vom rhythmischen Kontrapunkt zur bedrückend dichten Klangfläche. Für die zweite Uraufführung, Rekurs, wurde das sehr konzentriert agierende Trio aus Martin Losert (Saxophon), Claudia Sgarbi (Schlagzeug) und Ernst Surberg (Klavier) aufgezeichnet, um dann die Tonbandwiedergabe wieder live ergänzen zu können. In der zweimaligen Wiederholung dieses Prozesses wächst das klangsinnliche Stück um Erinnerung und Selbstähnlichkeit vor den Ohren des Hörers weiter, werden aus differenzierten Einzelereignissen gerichtete Strukturen, die sich um eine zentrale Generalpause ranken.

Die erstmalige Simultanaufführung von Deserts und Delikatessen (beide 1992) verdichtet den in Zeitklammern fixierten ruhigen Klangfluß ebenfalls durch wiederholte Aufnahme und Wiedergabe des Geschehens. Dem im Raum verteilten Ensemble Mosaik gelang eine sensibel ausgehörte Umsetzung, ehe es die Fallstudien (1993) beinahe zu Fall brachten. Dennoch ein glücklicher Abend wichtiger Musik.

Volker Straebel 6.98

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leicht verändert unter dem Titel "Live aus dem Blaster" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 29. Juni 1998
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