Büromusic

CD-Konzert am Checkpoint Charlie

In einem Schaufenster des Philip-Johnson-Hauses steht ein wenige Quadratmeter großes Musterbüro, eine Theaterkulisse mit kühn geschwungenem Designerschreibtisch, an dem Markus Popp von Oval sitzt und versonnen auf einen Computermonitor blickt. Als Teil der "Büromusic" in unvermieteten Neubauten am Checkpoint Charlie entstehen hier, von Mouseklicks gesteuert, sacht dahinschwebende Ambient-Klänge, die zum Hörer auf die Mauerstraße übertragen werden. Dieser hatte sich seinen Weg durch das Baustellengewirr bahnen müssen und steht nun zwischen Gerüsten in der Dämmerung, eingelullt von einem klinisch sauberen, pseudonaturalem Atmosphären-Sound, in dem eine gemächlich pendelnde kleine Terz von der Melancholie der Yuppies in ihren Bürozellen kündet.

Ganz anders die Situation im Foyerbereich eines 300 Meter entfernten Geschäftshauses in der Charlottenstraße. Hier werden Ovals Klänge in kräftigem forte wiedergegeben und erhalten auf einmal körperliche Präsenz. Die von Popp live gebrannten CDs treffen auch nach und nach per Kurier ein und werden Material eines doppelten Remix: Nicolas Collins' manipulierte CD-Spieler zerhacken den Klangfluß zu einem unaufdringlich insistierenden Plätschern, während Jim O'Rourke am Computer einzelne Klangmomente zeitlich dehnt und in ruhige Schleifen überführt, deren obertonreiche Schärfe die Klangidylle nachhaltig trübt. Diese Interpretationen des Ausgangsmaterials werden wiederum auf CD-ROM gebrannt und ins Musterbüro geschickt, wo sie in neue, über die Stunden langsam aggressiver werdende Klangverläufe Eingang finden - ein süßes Spiel um musikalische Selbstähnlichkeit und differenzierte Klangfülle im Dickicht der Friedrichstadt.

Volker Straebel 3.97


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leicht verändert unter dem Titel "Büromusik vom Designertisch" in Der Tagesspiegel (Berlin), 31. März 1997
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