Berliner Theorie

Sam Auinger und Rupert Huber machen Musik im Internet

Daß neben Texten und Bildern auch Audio- und Videosequenzen im Internet übertragen werden können, ist keine Neuigkeit. Realaudio (http://www.realaudio.com) und Vdolive (http://www.vdolive.com) stellen Dienstprogramme zur Verfügung, die, ersteinmal auf dem heimischen Rechner installiert, die Darstellung entsprechender Dateiformate zum Kinderspiel machen. Steter Wermutstropfen bleibt jedoch die wegen geringer Bandbreiten und Übertragungsraten notwendige Komprimierung der Multimediasignale, soll denn der User das Material "live" aus dem Netz emfangen können und nicht erst den Umweg über Downloading und anschließendes Abspielen umfangreicher Dateien gehen müssen. Dennoch liegt der Reiz von Musik im Internet auf der Hand: Unabhängig von teuren Sendeeinrichtungen und Lizenzen kann jedermann Klänge weltweit zugänglich machen. Die private Homepage wird mit der eigenen Stimme oder einem Lieblingssong versehen, Musiker geben Beispiele ihrer Arbeit und Radioanstalten stellen ihre Sendungen "on demand" bereit (z.B. WAMC/Northeast Public Radio: http://www.wamc.org).

Ein weites Feld, das auch Klangkünstler und Komponisten zur Erkundung verlockt. Die Österreicher Sam Auinger und Rupert Huber etwa, die als Stipendiaten des Künslerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für ein Jahr in Berlin leben, konzentrieren sich in ihren Hauskonzerten ganz auf dieses Thema. Etwa alle 14 Tage laden sie in ihr Weddinger Atelier, spielen auf einem wild verkabeltem Arsenal von Computern und elektronischen Instrumenten und schicken den Mikrophonmitschnitt live ins Internet (22 KHz Samplingrate, mono, http://www.kgw.tu-berlin/~bt). So wird aus Club-Musik oder Sampling-Loops "Berliner Theorie": Die Mikrophone übertragen neben der Musik auch das Surren der Kühlventilatoren und Gesprächsfetzen herumgehender Konzertbesucher aus dem "konkreten Raum" des Ateliers in den "öffentlichen Raum" des Netzes. Mit zwei Sekunden Zeitverzögerung wird die private Atmosphäre des realen Konzertes in einen weltweit hörbaren Klangstrom aufgelöst, der durch Datenreduktion und Wiedergabe über quäkende Computerboxen sein Ausgangsmaterial gleichsam technisch filtert. Diese Einschränkung des Klanges durch das Netz vergleicht Auinger mit der Begrenzheit und Ausschnitthaftigkeit menschlicher Wahrnehmung. Der private Raum subjektiver Erfahrung und der öffentliche Raum allgemeiner Vermittlung ähneln sich in ihrem reduzierenden Verhältnis zum konkreten Raum des realen Konzertes.

Soweit die Quintessenz der "Berliner Theorie", einem vierseitigen Manifest der Künstler. Musikalisch liegt ihr "livestream", der bis zum jeweils nächsten Hauskonzert im Netz gespeichert bleibt, dem tanzbaren Mainstraem näher als man zunächst vermuten möchte. Am vergangenen Dienstag trug Rainer Krispel eigene Texte in starrem Sprechgesang vor, Wiener Alltagsbeobachtungen zwischen Rubbel-Los und Straßencafé, während Auinger und Huber ihrem Maschinenpark einfache Synthesizer-Patterns und im Vierertakt dahindümpelnde Drumcomputerpresets entlockten. Da hilft selbst kein selbstironisches "Scheitern macht auch Spaß" des Autors. Delikate Stimmüberlagerungen verschiedener Sprachen und ausgehörte Übergänge von konkreten Verkehrsgeräuschen in elektronische Klänge ließen hingegen aufhorchen. Vielleicht finden sich ja Klangbastler, die den Konzertmitschnitt ihrerseits musikalisch überarbeiten. Auf solche kreative Rückkopplungen darf man gespannt sein.

Volker Straebel


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leicht verändert unter dem Titel "Das Netz macht das Hauskonzert öffentlich" in: Der Tagesspiegel (Berlin), 18./19. Mai 1997
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